Samstag, 21. März 2020

COVID-19: Und plötzlich war alles anders

Was auch immer für Sorgen ich in meinem Leben bisher hatte: so fundamental eingeschränkt wie die aktuelle Situation hat mich davon noch keine. Wir sind es gewohnt, einfach vor die Tür gehen zu können, Kontakt zu haben, vielleicht zu jammern, dass wir zu wenig Zeit dafür haben vor lauter Verpflichtungen. Aber unterm Strich hatte ich noch nie ernsthaftere Sorgen beim Verlassen der Wohnung als die Bahn zu verpassen, vielleicht etwas vergessen oder mich zu warm angezogen zu haben. Jetzt auf einmal ist die unsichtbare Bedrohung überall.

Ende des letzten Jahres war alles ganz weit weg, neue Infektionskrankheit in China, ja ja, was erwartet man auch, wenn die Menschen dort irgendwelche Wildtiere essen und das wohl möglich auch noch halbroh? Im Januar habe ich das Geschehen interessiert beobachtet aber mir keine Sorgen gemacht. Das Leben ging weiter, Urlaube wurden geplant, Familienausflüge, Feste. Es drehte sich alles um die eigenen kleinen Freuden und Probleme.
Dann kamen die Einschläge näher, Infektionsfälle in Italien, dann Tote. Und plötzlich ging es ganz schnell. Auch wenn ich das mathematische Prinzip des exponentiellen Wachstums lange schon kenne, finde ich es unfassbar schwer, mir vorzustellen, wie aus einer winzigen Zahl so explosionsartig eine Lawine wird.
In einer globalisierten Welt teilt man alles, sowohl die guten als auch die schlechten Dinge. Und dabei schien gerade jetzt so sehr der Fokus auf das Wohl der eigenen Person zu liegen wie noch nie zuvor. Ist ja auch kein Wunder, sich selbst für unfassbar wichtig zu halten, wenn das Telefon einem anzeigt, dass Tausende bis hin zu Millionen von Menschen einem zusehen, wenn man ihnen nur die Bilder liefert, die sie sehen wollen.

Und ganz plötzlich ist Schluss mit dem Egoismus. Es heißt auf andere Rücksicht nehmen und zum Wohle der Gemeinschaft drinnen zu bleiben wenn man keine überlebenswichtige Aufgabe außerhalb hat. Mir ist klar, wie Infektionsketten funktionieren, dass ein einfacher Besuch im Supermarkt reichen kann, um andere anzustecken oder den Erreger weiter zu geben. Und trotzdem dachte ich gestern Abend darüber nach, ob ich nicht doch noch zum Biomarkt fahren und Sprossensamen für mein Sprossenglas kaufen sollte. Schließlich weiß man ja nie, wann das wieder normal möglich sein wird und so ein bisschen was frisches auf dem Essen ist doch auch schön. Mhm, vielleicht doch auch gleich noch eine Packung Leinsamen und Bio Zitronen mitnehmen?

Kurz nachdem mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde mir klar wie absurd und selbstsüchtig es wäre, wegen solcher nicht überlebensnotwendigen Dinge unter Menschen zu gehen. Obwohl man an Grundnahrungsmitteln alles da hat. Wenn das jeder so tun würde, nur weil er spontan Lust auf Schokoeis bekommt und keines zu Hause hat, ist das ganze Prinzip der sozialen Distanzierung zur Unterbrechung der Infektionskette schon dahin. Und mal ganz ehrlich: man kann auch ohne frische Sprossen und Schokoeis prima überleben. Wir sind einfach nur daran gewöhnt, unsere kleinen Luxusbedürfnisse schnell befriedigen zu können.

Gestern habe ich mit meiner neunzigjährigen Oma telefoniert. Sie schockiert die Situation wenig, weder leere Regale noch fehlendes Klopapier machen ihr Angst. Kenne sie ja alles schon vom Krieg. Und Klopapier gab es damals sowieso nicht. Da wurde einfach die gelesene Zeitung im Bad auf einen Nagel gehangen und dann bei Bedarf zur Reinigung verwendet. Ansonsten gab es feuchte Lappen, die man dann zur Rosettenreinigung verwendete und anschließend in die Wäsche gab. Heute muss es scheinbar schon mindestens vierlagig sein, damit das Hinterteil glücklich ist.
Mein Tipp an dieser Stelle ist seit Jahren die Reinigung mit Wasser. Hautschonender (auch bei Hämorrhoiden, Perianalekzemen und so weiter), viel sauberer als mit trockenen Tüchern alles möglichst dünn zu verreiben, vermeidet Müll und spart Klopapier. Wer nun kein Bidet hat, kann sich eine Podusche bestellen oder mit dem Duschkopf abspülen und mit einem einzelnen Blatt im Anschluss trocken tupfen.

Diese Woche hatte ich Urlaub und statt der geplanten Reise gab es stattdessen Heimquarantäne. Immerhin hab ich jetzt meine Steuererklärung fertig, einen Pullover gestrickt, täglich Sport gemacht und Breaking Bad auch fast komplett geschafft. In der kommenden Woche ist die Quarantäne dann für mich aber erst mal vorbei, da ich als Ärztin weiter arbeite. Ich bin gespannt, wie der Praxisalltag sich verändert. In meinem Fach habe ich mit internistischen Erkrankungen oder Atemwegsproblemen normaler Weise kaum zu tun, was auf der einen Seite bedeutet, dass ich vorerst mit den an COVID-19 erkrankten Patienten weniger zu tun habe, da ich nicht der erste Ansprechpartner bin. Auf der anderen Seite bin ich damit umso schlechter vorbereitet, sollte es eine zentrale Anordnung geben, dass jede medizinische Fachrichtung bei der Patientenversorgung alles vom neuartigen Coronavirus Betroffenen mithelfen muss. Viel Glück, wenn der Dermatologe sie intubiert!

Es könnte alles schlimmer sein. Wir werden nicht mit Bomben beworfen, unsere Wohnungen brennen nicht und die Lebensmittelversorgung ist auch gesichert. Wenn wir jetzt alle vernünftig sind, Kontakte meiden, Hygieneregeln einhalten und wenn möglich einfach isoliert drinnen bleiben (auch, wenn wir gern doch noch eine Kleinigkeit aus dem Geschäft hätten oder uns nach Gesellschaft und Frischluft sehnen), dann lässt sich die Situation bewältigen. Es wird wirtschaftlich, gesellschaftlich aber auch in der Kranken- und Todesfallstatistik nicht spurenlos an uns vorbei gehen. Dennoch bin ich der Ansicht, dass Panik niemals die Lösung sein kann. Wir haben keine andere Wahl außer durchhalten. Und so gut versorgt mit Internet und Lebensmitteln lässt es sich auf dem Thron aus Klopapier besser aushalten als wahrscheinlich in jeder Krisensituation zuvor. 

Dienstag, 31. Dezember 2019

Jahresrückblick 2019

Egal wie knapp Zeit und auch die Lust zum Bloggen sind, der Jahresrückblick ist Tradition. Und sollte ihn keiner lesen, dann schreibe ich ihn auch einfach weiterhin nur für mich.

Dieses Jahr war ein neuer Lebensabschnitt, da es mit dem Start ins Berufsleben für mich begann. Plötzlich steht auf dem Namensschild nicht mehr "Student" und wenn es komplizierter wird, kann man den "richtigen" Arzt rufen, sondern ganz plötzlich ist man selbst Arzt. Miep! Ich habe unerhört viel Glück mit meinen Arbeitgebern gehabt und mich nie wirklich allein gelassen gefühlt. Dadurch, dass man plötzlich aus dem Nest geschmissen wird und schwimmen lernen muss, tut man es auch. Ich habe viel meiner Freizeit darauf verwendet, Fachliteratur zu lesen, doch auch nur so kann man fehlende Berufserfahrung versuchen etwas auszugleichen.

Innerliche Einstellung war am Anfang bei mir eher "Oh je, ich hab doch keine Ahnung, hoffentlich bringe ich keinen um!" bis ich ganz positiv überrascht wurde von dem, was ich dann doch schon weiß. Durch 6 Jahre Studium, Stundentenjobs und praktisches Jahr lernt man wohl doch eine ganze Menge. Wer hätte das ahnen können?!
Und wenn ich Unterstützung brauchte, bekam ich sie vom tollen Team. Seit April darf ich ambulante Hautoperationen allein beziehungsweise mit gelegentlichen Kontrollblicken durch meine Chefinnen durchführen. Anfangs war ich unfassbar aufgeregt doch inzwischen hat sich auch da Routine eingestellt und ich habe Spaß daran. Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem sind nicht das, was man sich wünschen würde, doch aktuell erfüllt mich die Arbeit sehr und auch die Wahl meines Fachbereiches macht mich täglich glücklich. Rückblickend bin ich stolz, so eine steile Lernkurve hingelegt zu haben.

Ich habe gemerkt, wie viel Freizeit man eigentlich als Student hatte. Wenn man 10 - 11 Stunden am Tag arbeitet und dann noch eine Stunde Heimweg hat, ist damit der Tag gelaufen. Plötzlich sind nicht nur Hobbies und Treffen mit Freunden zeitlich eingeschränkt gewesen, sondern auch so alltägliche Dinge wie Lebensmitteleinkäufe oder amtliche Angelegenheiten muss man genau planen.
Da wäre ohne meinen Freund und seine Unterstützung der Alltag nur schwer zu bewältigen gewesen und ich bin sehr dankbar dafür, diesen Menschen in meinem Leben zu haben.

Ein großes Thema war Nachhaltigkeit. An den offiziellen Demonstrationen habe ich nicht teilgenommen, doch privat habe ich auf eine vegane Ernährung umgestellt. Da es ein langsamer Prozess war, lief es ohne Probleme oder "Entzugserscheinungen". Im Gegenteil: ich fühle mich so viel besser - sowohl körperlich als auch im Bewusstsein, mit meiner Ernährung anderen Lebewesen und dem Planeten so wenig wie möglich zu schaden. Damit habe ich Gewicht verloren, an Lebensqualität gewonnen und viele neue leckere Sachen gegessen. Große Inspirationsquellen waren dabei für mich Dr. Michael Greger und Niko Rittenau, letzteren habe ich sogar bei einer der Veggie World Messen live gesehen und war sehr beeindruckt von seiner sehr faktenreichen und spannenden Vortragsweise.

Wir trennen den Biomüll seit ziemlich genau 12 Monaten vom restlichen Müll, da wir eine Biotonne von der Hausverwaltung bekommen haben. Damit bleiben eigentlich nur Berge von Plastikverpackungen sowie Obst+ Gemüsereste für den Biomüll übrig. Den längst verkleinerten 5 Liter Restmülleimer bringen wir nun vielleicht alle drei Monate einmal raus. Dabei ist mir aufgefallen, dass wir scheinbar die Biotonne allein benutzen obwohl die mit ca 35 anderen Wohnungen im Haus geteilt wird. Irre. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass mehr Menschen sich den Aufwand machen, Müll sinnvoll zu teilen. Denn Kartoffelschalen müssen nicht verbrannt werden, die kann man doch auch kompostieren.

Flugreisen haben sich reduziert auf insgesamt zwei in diesem Jahr, in den Sommerurlaub ging es mit dem Auto und sonst wurde durchweg die Bahn genutzt. Es fällt mir zwischen dem Bewusstsein über die Umweltauswirkungen des Fliegens und dem Fernweh manchmal schwer, die "richtige" Entscheidung zu treffen.

Gesundheitlich ging es mir dieses Jahr gut, bis auf einmal Erkältung im Frühjahr und ganz aktuell absolut nichts, worüber ich mich abgesehen von blauen Flecken, Menstruationsschmerz und Banalitäten beschweren kann. Ich weiß es zu schätzen.

Apropos Gesundheit. So langsam fällt mir auf, wie gebrechlich meine Großeltern mit ihren 84 beziehungsweise 89 Jahren werden. Manchmal erinnern sie mich an schmale zerbrechliche Vögel und das macht mir Angst. Es ist ein natürlicher Verlauf und doch will ich nicht, dass sie nicht mehr Teil meines Lebens sind. In diesen Momenten frage ich mich immer, wie es mir einmal in diesem Alter gehen wird. Wer weiß, was die Medizin bis dahin für Neuerungen erlebt. Aber statt mich darauf zu verlassen, versuche ich es erst einmal mit vollwertiger Ernährung, Sport, Verzicht auf Nikotin und kaum Alkohol. Trotzdem kann man in einer Woche vom Bus überfahren werden, das Leben ist eben voller Ungewissheiten.

Gelesen habe ich in diesem Jahr weniger Belletristik als ich wollte, doch so ist es in allen Jahren seit Ende der Schulzeit gewesen. Sollte ich es langsam als normal akzeptieren?

Insgesamt ein positives Jahr, mal wieder. Das Leben meint es scheinbar gut mit mir. Ich hoffe, es ist bei euch auch am Ende vieles gut und wenn nicht - ihr wisst ja - ist es auch noch nicht das Ende. Passt auch euch auf, knallt nicht zu viel und bis zum nächsten Jahr!

Samstag, 21. Dezember 2019

Don't worry, don't hurry

Weihnachten soll ganz offiziell eine besinnliche Zeit sein. Zumindest für mich endet es aber jedes Jahr aufs neue damit, dass ich ganz schnell noch gefühlt tausend Dinge von der To-Do-Liste abarbeiten muss, bevor es offiziell besinnlich werden kann. So war das eigentlich nicht gedacht, oder?

Einer der Punkte auf der Liste war es, beim Asia Laden noch den frischen Tofu zu kaufen. Dieses Jahr gibt es für mich zum zweiten mal Weihnachtsessen ohne Fleisch und für das Rezept des Seitan Rollbratens  und da Tofu rein soll, musste der Vorrat des Lieblingstofus noch aufgestockt werden.
Rad anschließen, Körbchen neben dem Eingang schnappen und dann zielstrebig (als guter Kunde kennt man den Laden so langsam) alles einsammeln.

Es ist ein koreanischer Asia Laden mit unfassbar netten Inhabern. Ihr Deutsch ist für mich schwer verständlich gewesen, doch nachdem beide Seiten entdeckt haben, dass Verständigung auf Englisch ganz prima funktioniert, habe ich schon Rezeptempfehlungen bekommen, mich nach der besten Sojasauce durchgefragt und am Ende Sushi geschenkt bekommen. So freundlich und hilfsbereit wurde ich in anderen Supermärkten noch nie bedient.

Auf meiner Zielgeraden an der Kasse grüße ich also dementsprechend herzlich den Inhaber, staple dann ohne ihn länger anzusehen meine Waren auf. Er scannt alles in Ruhe ein und nennt den Preis. 6.59€ sagt die Anzeige an der Kasse.
Auf den ersten Blick befindet sich im Kleingeldfach nur Kupfergeld und wenige goldene Centstücke. Oh je. Ich entschuldige mich schon, dass ich jetzt mit großem Schein bezahlen werde, weil ich zu lange nach dem passenden Kleingeld suchen müsste. Er lächelt mich an: "Don't worry, don't hurry!".
In Korea würde sich an der Kasse niemand stressen und er erzählt, wie fasziniert er immer die Getriebenheit und das hastige Zusammenraffen der Einkäufe bei den Deutschen beobachtet. Für ihn ist es scheinbar absurd, sich unnötig Stress zu machen.

In dem Moment wird mir bewusst, dass ich der einzige Kunde im Laden bin. Dass die Getriebenheit nicht durch tatsächlichen Druck von außen entsteht, sondern von mir ausgeht.
Also stecke ich den Schein wieder ein, sortiere mich durch das Kleingeldfach und sammle zwischen Münzen, meiner Notfalltablette Ibuprofen und dem Knopf der Arbeitshose den passenden Betrag heraus.

Ab und zu muss jemand den Stoppknopf für das Hamsterrad des Alltags drücken, damit man kurz über seine eigenen Füße stolpert und realisiert, wie unsinnig es ist, im Kreis zu rennen. Da man schon so gut drin ist und das Rad sich dreht, läuft man sonst weiter ohne nachzudenken.
Damit also ganz offiziell auch für alle, denen es sonst keiner sagt: halt stopp! Sonst wird das nie was mit der Ruhe und der Besinnlichkeit - ganz egal ob nun an Weihnachten oder allen anderen Tagen.

Samstag, 6. Juli 2019

Bahnsteig statt Tinder


Mit der Bahn zu fahren gibt einem Raum für neue Erfahrungen. Frustrierende, stressende, beengende aber eben auch anregende Situationen ergeben sich da quasi tagtäglich. Der Kontakt mit Menschen ist immer wieder gut für Überraschungen.

Auf dem Weg zur Arbeit muss ich aktuell mal wieder Baustellen umschiffen und aufgrund des unzuverlässigen Ersatzverkehrs mit Bussen fahre ich mit dem Rad in der Bahn einen Teil der Strecke und lege den Rest mit dem treuen Drahtesel zurück. 
Vorgestern trug ich routiniert mein Rad die Treppen hoch, als ein junger Mann mich fragte, ob ich Hilfe dabei bräuchte. Ich bedankte mich fürs Angebot und erwiderte, dass ich es gewohnt bin, mein Rad die Treppen auf und ab zu transportieren und daher alles gut sei. Es ergab sich ein kurzer Wortwechsel.

Ist ja auch gutes Training für die Arme und man spart sich so die Muckibude” - “Stimmt! Man sollte nur mal die tragende Seite wechseln, um gleichmäßig die Arme zu trainieren” - “Hahaha, stimmt!” -Ende.

Ganz nett, mir Hilfe anzubieten, wobei ich ja insgeheim grübelte, warum mir als nicht gerade kleiner und definitiv nicht mit schwachen Spaghettiarmen bestückter Frau scheinbar nicht zugetraut wird, ihr Rad allein zu tragen. Hallo, manchmal trage ich meinen (zugegebener Weise sportlichen und eher leichten) Freund huckepack vier Etagen Treppen hoch!

Mir war der Mann trotzdem spontan sympathisch. Unscheinbar gekleidet, Brille, relativ gebräunt für einen Hauttyp II (#Berufskrankheit, dass ich das direkt kategorisiere...) und mit dem kleinen Bauchansatz vielleicht eher Büromensch statt körperlich arbeitend. Freundlich und ausgehend von seiner Wortwahl auch intelligent aber bezogen auf die Sprachlautstärke auch nicht der extrovertierteste Mensch. Schon irre, was man meint alles einschätzen zu können, wobei das ja auch alles eher auf Vorurteilen und Erfahrungen basiert. 

Auf dem Bahnsteig war ich dann beschäftigt, meine Mails durch zu sortieren, hatte aber das Gefühl, von ihm beobachtet zu werden. Als die Bahn kam, hüpfte er obwohl 10 Meter entfernt von mir eigentlich näher an einer anderen Tür stehend am Ende doch noch zu mir in den Wagen. Interessant, habe ich es mir wohl doch tatsächlich nicht eingebildet, dass er während des Wartens in meinen Richtung geschaut hatte.
In der mittelmäßig gefüllten Bahn stand er direkt hinter mir, ein spontanes Gespräch würde sich so anbieten. Es war regelrecht zu spüren, wie er sich innerlich darauf vorbereitet, etwas zu sagen. Sollte ich ihm nun den Gefallen tun, mich zuwenden und kommunizieren? Es würde nun nichts weiter dramatisches passieren. Dennoch hatte ich ganz unterschwellig das Gefühl, dass der Grund für das Kommunikationsbedürfnis am Ende doch sein könnte, dass er auf der Suche nach einer Partnerin ist und nun mit mir eine Chance wittert. Bahnsteig statt Tinder.

Also direkt umdrehen, klarstellen, dass ich bereits einen Freund habe und dann schauen, was sich da noch an Gespräch ergibt? Wäre allerdings auch extrem unhöflich, direkt davon auszugehen, dass Männer Frauen nur ansprechen, weil sie viel mehr wollen als verbalen Austausch.
Beruflich spreche ich auch intimere Probleme sachlich und ganz ohne Scham direkt an. Wenn Patienten einem nur die halbe Geschichte erzählen, ist es eben auch schwerer, die korrekte Diagnose und Therapie zu finden. Privat bin ich dann aber eben doch ein eher introvertierter Mensch, der nicht alles anderen direkt auf die Nase binden möchte. Daher entschied ich mich für konfrontationsvermeidendes Schweigen und las hochkonzentriert mein Buch.

Drei Bahnstationen des Lesens später wurde die Stille durchbrochen.
“Scheint ja sehr spannend zu sein.”
Oi, er hat dann wohl doch den Mut zusammengerafft und einen Gesprächsversuch gestartet.
“Total! Es bleibt dafür im Alltag sonst zu wenig Zeit, also muss ich jede freie Minute nutzen.“
Kurzer Blickwechsel, kein weiterer Einwurf von ihm. Und dann war Gesprächssackgasse und ich widmete mich zumindest was die Blickrichtung angeht wieder dem Buch. An der nächsten Station stieg er aus.

“Erwachsene” sind schon komisch. Als Kinder sind wir hemmungslos neugierig und daran ändert sich auch mit der Zeit wenig, doch im Gegensatz zu damals denkt man nun über jeden Mist vier mal nach und lässt in der Zeit gern Chancen verstreichen. Oder man hat so oft um die Ecke gedacht, dass alles nur noch absurd erscheint. Wäre schon interessant gewesen, herauszufinden, was er von mir wollte. Vielleicht ist aus dieser Begegnung in einem Paralleluniversum eine Freundschaft entstanden. Ich habe manchmal so viele Überlegungen angestellt, was sich aus sozialen Interaktionen alles ergeben könnte, dass ich unterm Strich einfach gar nichts mache, weil ich zu misstrauisch und vorsichtig bin. Ist das der Grund, warum Erwachsene es so viel schwerer haben, enge Freundschaften zu knüpfen?

Könnte ich die Situation nochmal durchleben, würde ich mich wahrscheinlich auf ein Gespräch einlassen. Zumindest denke ich mir das, wo ich jetzt sicher und allein sitze und alle möglichen Endpunkte des Kontakts einmal durchdenken konnte. Was hättet ihr in der Situation gemacht? 

Montag, 20. Mai 2019

Drei rosa Zettel

Eigentlich hatte ich ja nach Start ins Berufsleben geplant, einfach nicht krank zu werden beziehungsweise mich davon unbeeindruckt zu zeigen. Macht immerhin eh keinen Spaß, sich schlecht zu fühlen. Dass das nicht klappen wird, habe ich mir von Anfang an gedacht.
Und nun bin ich zum ersten Mal in meinem Leben krank geschrieben. Ein ganz komisches Gefühl.

Zwar bin ich nicht zum ersten Mal in meinem Leben erkältet, doch zum ersten Mal interessiert es jemanden, ob ich so arbeiten kann oder nicht. Während des Studiums bekam man Fehlzeiten notiert bei Abwesenheit ganz egal ob man bei 40 Grad Körpertemperatur im Bett fieberte oder auf Mallorca schwitzte. Auch ein ärztlich attestiertes Kranksein hätte daran nichts geändert.
Letzte Woche war meine Nase dicht und auch mit regelmäßiger Einnahme von entzündungshemmenden Schmerzmitteln und Zink in hoher Dosis war das wolkig-wackelige Gefühl nicht aus dem Kopf zu bekommen. Zwei Tage lang habe ich mich so auf die Arbeit gequält. Denn wenn ich einfach im Bett bleiben würde, um mich auszukurieren, bekämen immerhin alle Patienten ihren Termin bei mir abgesagt. Und das möchte man ja auch niemandem antun. Besser ein schniefender Arzt als gar keine medizinische Versorgung, oder?

Also habe ich meine Hände gefühlt permanent in Desinfektionsmittel gebadet und mein Bestes gegeben, seriös zu bleiben, wenn ich merkte, wie demnächst mir etwas aus der Nase laufen würde. Ibuprofen ist schon geniales Zeug, wenn man regelmäßig dran denkt, mehr zu nehmen. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem ich merkte, dass es so nicht weiter geht. Wenn man zum Untersuchen von Füßen in die Hocke ging und dabei sich erst mal kurz an der Liege festhalten muss, weil einem schwindelig wird oder beim Herausschneiden von Hautveränderungen Schweißausbrüche hat und einem schwarz vor Augen wird, dann muss man sich eingestehen, dass es so nicht funktioniert. Immerhin arbeite ich mit Menschen.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich wegen einer Erkältung beim Hausarzt vorzustellen. Immerhin wusste ich ja, was los ist und wie ich mich theoretisch zu verhalten habe. Ruhe, viel trinken, Wasserdampf inhalieren, Obst und Gemüse in mich rein schaufeln, körperliche RUHE und vor allem nicht arbeiten gehen. Nichts, wofür man jetzt einen Arzt bräuchte, denn weg zaubern kann er das auch nicht.

Ich weiß nicht, ob ich ungeschminkt so furchtbar aussah oder es meine nasale Schnupfstimme war, doch ich wurde statt des gewünschten einen Tages eine Woche krank geschrieben.
Plötzlich bekam ich die wohl bekannten drei rosa Zettel in die Hand gedrückt statt sie an andere auszuhändigen. Es fühlte sich nach ganz verkehrter Welt an.

Nach einem freien Tag und einem Wochenende geht es mir sehr viel besser. Komplett beschwerdefrei bin ich noch nicht, doch soweit fit, dass ich nun hier sitze und ein schlechtes Gewissen habe. Es fühlt sich an, als würde ich die Schule schwänzen, meine Kollegen mit all der Arbeit im Stich lassen. Natürlich ist mir klar, dass es noch dauert, bis ich alle Symptome der ordentlichen Erkältung hinter mir gelassen habe. Aber das heißt ja nicht, dass ich mich nicht schlecht dafür fühlen darf, es mir zu Hause auf dem Sofa bequem zu machen auch wenn ich währenddessen regelmäßig Schleim aus dem Nasenrachenraum ins Taschentuch befördere. 

Es ist schon absurd, wie sehr das eigene Verhalten zu dem, was man anderen regelmäßig empfiehlt abweichen kann. Allem schlechten Gewissen zu Trotz bin ich froh, dass meine Chefinnen entspannt mit meinem Fehlen umgehen und mir keinen Druck machen. Ich bin froh, dass es in unserer Gesellschaft die Möglichkeit gibt, krank zu sein ohne deshalb gleich entlassen zu werden oder Gehaltseinbußen hinnehmen zu müssen.
Und dennoch freue ich mich darauf, wenn ich bald wieder durch die Nase atmen und arbeiten gehen kann.

Wie war es, als ihr das erste Mal krank geschrieben wurdet?

Sonntag, 5. Mai 2019

Warum einfach, wenn es auch anders geht

Mein Handmixer ist kaputt. Nach vielen Jahren ist plötzlich beim Kneten von Hefeteig das Plastikgehäuse gebrochen. Einfach so.

Ich liebe gutes Essen und um sicherzustellen, dass ich auch solches bekomme, koche ich viel und gern. Daher war es trotz allen Bestrebungen, den eigenen Konsum zu minimieren, keine Frage, ob ich den kaputten Handmixer ersetzen werde. So ein Gerät brauche ich einfach. Kann ja nicht so schwer sein, ein zuverlässiges, hochwertiges neues Modell zu finden... dachte ich zumindest.

Schon oft hab ich von meinen Großeltern gehört, dass es früher in der DDR keine Auswahl in den Geschäften gab. Wenn man einen Toaster wollte, hat man eben den Toaster gekauft. Entweder man nimmt das eine Modell, das es gab oder gar keinen. Und das auch nur, wenn es eben verfügbar war. Diese Geräte müssen sehr solide gewesen sein, denn nur das kann erklären, warum meine Großeltern noch heute pastellblaue Kaffemühlen, beige Handrührgeräte und laute, stinkende aber vor allem historisch wertvolle Föne haben, die seit Jahrzehnten im Einsatz sind. Über Energieeffizienz in dem Kontext reden wir an der Stelle mal lieber nicht.

Da die Auswahl heute aber riesig ist, kommt schnell ein Gefühl der Überforderung auf. Klar weiß ich, was ich will: ein hochwertiges Gerät mit ordentlich Kraft auch für zähe Brotteige, das lange hält. Wenn möglich Metall an den wichtigen sich bewegenden Teilen. Das darf in der Anschaffung dann auch gern ein wenig mehr kosten.
Doch leider ist der Preis kein zuverlässiges Merkmal für gute Verarbeitung mehr und das nervt mich absolut. Wie kann es denn sein, dass man stylischen Schrott dem gutgläubigen Kunden teuer verkauft? Haben die Hersteller denn kein Gewissen?!

Ich erinnere mich, dass ich mich nach meinem Auszug in einer handrührgerätlose WG Küche und in dem gleichen Dilemma befand. Am liebsten hätte ich den Mixer für die Ewigkeit gekauft, damit man sich nie wieder sorgen müsste, dass man für den Sonntagskuchen plötzlich den Teig nicht fluffig aufschlagen kann.
Nach der Recherche bei einem großen Onlinewarenhaus und auf verschiedenen Vergleichsportalen, war ich aber noch ratloser. Irgendeine Macke schien jedes Gerät zu haben. Und statt den wichtigen Dingen (Einsteckbuchse für Rührstäbe aus Metall oder nicht) wurden irgendwelche komischen Kategorien entwickelt und verglichen. Für Menschen, die unbedingt ein 5 Dezibel leiseres Gerät brauchen. Am Ende gab es nichts, was mich überzeugen konnte.
Es kam damals nie zum Kauf eines Handrührgeräts, stattdessen bekam ich das alte meiner Mutter, die schon ein neues besseres (im Angebot!) gekauft hatte, aber noch darauf wartete, dass dessen Vorgängermodell den Geist aufgibt.

Jetzt weiß ich, dass sie darauf noch drei weitere Jahre hätte warten müssen. Insgesamt hat der Mixer damit keine zehn Jahre überlebt und auch wenn er wöchentlich ran musste, finde ich das echt wenig.

Es hat mich jetzt drei Jahre später wieder nachdenklich werden lassen, dass scheinbar laut Bewertungen alle Geräte ein Problem haben: Der Motor ist zu  schwach, läuft so unrund, dass man ihn mit einem Massagegerät verwechseln könnte oder glüht nach drei Minuten Dauerkneten fast. Die Rührbesen bestehen aus schnell brechendem Plastikstielen, Kabel wären zu kurz, tolles Design in 4 Farben aber mit unfassbar (höhö) unhandlichem Griff, zu kurze Knethaken, zu dünne Knethaken, die gleich verbiegen... die Liste der Beschwerden ist gefühlt endlos.

Ja meine Güte, ich möchte doch nur einen Handrührgerät kaufen!!! Und das ganze hat mich schon so sehr in den entnervten Wahnsinn getrieben, dass ich nun am Ende drüber blogge, um nicht mit einem Handrührgerät (extra langes Kabel, extra viel Watt und scharfe Rührhaken) Amok zu laufen. Grrrr!

Der Überfluss lähmt mich. Manchmal wäre es für mich einfacher, eine Wahl zu treffen, wenn man weniger Möglichkeiten hätte. Es würde wirklich helfen, schlicht keine minderwertige Billigware zu produzieren sondern nur vernünftige Produkte. Dann hat man auch langfristig etwas von denen. Aber nein, immer wieder kurzlebigen Plunder verticken bringt wahrscheinlich mehr Gewinne. Die Welt ist manchmal ein absurder Ort.