Wann habt ihr euch zum letzten Mal bewusst vor den Fernseher gesetzt, um eine Sendung anzusehen?
Um diese Frage zu beantworten, musste ich erst einmal in meinem Gedächtnis kramen. Fernsehen...? Ach ja, das mit dem Receiver und dem Bildschirm. Vor diesem Bildschirm, der auch ein tatsächliches Fernsehprogramm und keine DVD oder die Übertragung vom Laptop zeigte, saß ich zuletzt während des ESC. Und das nicht einmal, weil ich wirkliches Interesse an dem bunten Wettbewerb hatte, sondern nur um anschließend bei den Gesprächen über die Veranstaltung nicht ausgeschlossen zu sein. Gefühlt ging das der Hälfte der Zuschauer, mit denen ich mich später darüber austauschte genau so. Aber weg von dieser Veranstaltung, die hier nicht Thema ist
Seitdem ist bei mir nur noch eine halbe Folge Galileo über den Bildschirm geflimmert und das auch nur, um darüber mit jemandem reden zu können. In meinem Alltag spielt der Fernseher eigentlich keine Rolle mehr, ist zur Nebenrolle geworden. Nicht einmal das würde stimmen - Statist träfe es besser.
Seine Rolle hat der Laptop eingenommen. Die Informationsfunktion des Fernsehens übernimmt er locker. Wer setzt sich schon pünktlich zur Tagesschau vor den Fernseher, um etwas über aktuelle Nachrichten und das Wetter zu erfahren, wenn man das ganze on demand online bekommen kann?
Die Unterhaltungsfunktion erfüllt der Computer Internet sei Dank mit Links; falls gewünscht gibt es statt Trash-TV so einige Kanäle auf YouTube und statt des auf dem Receiver installierten Tetris auch deutlich bessere Spiele.
Obendrauf und inklusive ist die Kommunikationsfunktion, die dem Fernsehen komplett fehlt. Nun ja, man könnte sich an den Sendungen als Kandidat beteiligen oder zumindest an Votings und Gewinnspielen teilnehmen, doch der durchschnittliche Zuschauer wird das eher selten machen. Im Gegensatz zum Internet, wo ein Klick reicht, um aktiv zu werden, ist der Aufwand und damit auch die Hemmschwelle das zu tun viel höher.
Fernsehen ist passiv. Zurücklehnen und berieseln lassen. Man ist in der Abendplanung beschränkt auf die Angeboten für die sich irgendwelche Programmchefs entschieden haben. Und dazwischen eine Prise Werbung. Sagte ich Prise?
Kein Wunder, dass im direkten Vergleich dazu immer mehr Personen dem Internet den Vorzug geben. Besonders auffällig ist laut
einer Untersuchung von media control der Rückgang der durchschnittlich vor dem Fernseher verbrachten Zeit bei den Personen im Alter von 14-39 Jahren im ersten Quartal diesen Jahres; am stärksten bei den 14-19 Jährigen mit einer Reduktion um 14 Minuten täglich auf
nur 106 Minuten Fernsehzeit. Was für ein Zufall, dass genau diese Altersgruppe wesentlich häufiger als ältere Generationen einen PC samt Internetzugang besitzt.
Hat das Konzept Fernsehen sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten und wird mit dem Ableben unserer Eltern und Großeltern sein Publikum verlieren?
Der Gedanken erscheint mir nicht einmal besonders absurd.
Das Fernsehen ist nicht allein in der Sparte der Medien mit rückläufiger Nutzung. Da wäre nämlich noch das Radio.
Es findet sich bei uns im Haus in fast allen Räumen ein Radio, man könnte theoretisch permanent eine Sendung anhören. Die Hauptfunktion des Radios liegt für mich in der Unterhaltung und Information in Momenten, in denen ich die Hände beschäftige und dennoch gern ein wenig geistiges Futter hätte. Beim Kochen und während der Gartenarbeit ist eine interessante Gesprächsrunde im Radio daher optimal. Sitzt man im Auto reicht es, wenn ein wenig beschwingte Musik zum Mitsummen aus dem Radio kommt.
Scheint so, als hätte das Radio sich einen Platz in meinem Alltag geschaffen. Vor einem halben Jahr wäre die Aussage korrekt gewesen, inzwischen ist sie es nur noch bedingt. Mein Lieblingssender erlebte einen Vorstandswechsel, es folgten Programmveränderungen in Richtung Mainstream. Einige von mir besonders geschätzte Sendungen, unter anderem eine computerbezogene Sendung, wurden abgesetzt und beendete so beispielsweise die Möglichkeit, dadurch zumindest ein wenig auf dem neuesten Stand zu bleiben, was momentan der letzte Schrei in Sachen Geräte und Spiele ist. Moderatorenwechsel schafften es sogar, Joko und Klaas, die nervigen Flachwitzreißer aus dem Musikfernsehen permanent ins Programm zu bringen. Ich schaltete seltener ein, mochte weniger Sendungen und entdeckte schließlich über einige Umwege und Zufall
Podcasts für mich. Diese Gesprächsrunden sind denen im Radio nicht unähnlich, nur bieten sie den Vorteil, dass ich sie abrufen kann, wann immer ich es möchte und dazu auch noch durch die Wahl des Podcasts schon vorher entscheiden kann, ob ich die Teilnehmer der Gesprächsrunde hören möchte oder nicht.
Außerdem bieten sie auch die Möglichkeit, die Sendungen live zu verfolgen und aktiv während der Aufnahme im Chat zu kommentieren oder zu ergänzen.
Und so lade ich mir inzwischen einfach Podcasts herunter und höre sie während des Kochens oder der Gartenarbeit; die Technik macht es möglich.
Das Radio dagegen bleibt stumm; Sendungen, die mich dann doch noch interessieren, kann man in den meisten Fällen sogar frei herunterladen oder auch gleich abonnieren. Frei nach dem Modell Podcast.
Sind Fernsehen und Radio damit überflüssig? Jein. Noch nicht.
Wie schon angedeutet hängt meiner Meinung nach die Nutzungsintensität stark vom Alter der jeweiligen Personen und damit auch deren Nutzung des Internets ab. DVDs, YouTube und auch Livestreams ersetzen den Fernseher fast vollständig, aktuellen Sendungen, die live übertragen werden, sind jedoch noch ein Grund, sich vor die Flimmerkiste zu setzen. Wenn es das ganze denn nicht zeitgleich auch als Livestream online gibt. Noch ist das Fernsehen für viele leichter zugänglich. Darin zeichnet sich auch ein Wandel ab: die weltweiten Verkäufe von TV-Geräten sind zum ersten Mal seit 2004
rückläufig. Vielleicht liegt es ja an der Wirtschaftskrise, an der Marktsättigung. Und vielleicht liegt es aber auch nicht nur daran, sondern lässt sich einfach dadurch begründen, dass das Modell Fernsehen nicht mehr zeitgemäß ist.
Das Radio hat für mich allein im Auto einen unangefochtene Daseinsberechtigung. Ein wenig Gedudel im Hintergrund ohne sich die dafür viel Mühe machen zu müssen reicht völlig aus. Aber auch in der Situation ließe es sich ersetzen. Eine CD einzustecken dauert nur minimal länger, als mit einem Knopfdruck das Radio einzuschalten.
Generell zeichnet sich zumindest in meinem Fall eine Distanzierung zu den Medien Fernsehen und Radio ab. Der Tageszeitung dagegen bin ich treu. Wahrscheinlich habe ich einfach noch nicht die Website gefunden, welche sie vollständig ersetzen kann.
Und jetzt frage ich mich nur noch, wer eigentlich meine täglichen 106 Minuten Fernsehprogram für mich mitkonsumiert.
Apfelkern