Mit einigen Freundinnen plante ich schon seit einiger Zeit eine Reise. Es sollte weder eine Party- und Sauftour in Richtung Lloret de Mar oder Osteuropa werden noch ein Kultururlaub: Abenteuerurlaub stand auf dem Plan.
Und so beschwerten wir unsere Fahrräder mit den sicher 10 Kilogramm minimalistisch zusammengestellten Dingen, die man so für die Wildnis braucht und legten als Zugabe noch jeweils Isomatte, Schlafsack und teilweise auch noch ein Zelt obendrauf. Das Beschleunigen, die Beweglichkeit und auch der Bremsvorgang verschlechterten sich dadurch merkbar, doch nur deswegen die Tour abzublasen wäre nicht infrage gekommen. Wir sind ja nicht zimperlich.
So nahmen wir den Radwanderweg nach Usedom in Angriff. Wie praktisch für uns, dass Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sich diese touristische Attraktion leisten. Allein schon, damit sich nach Mecklenburg-Vorpommern neben Wölfen auch mal ein paar Menschen verirren.
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Gekocht wurde mit dem Campingkocher unter Anwendung der äußerst raffinierten Zweitopftechnik. Den Weg in den Topf fanden- ganz abenteuerlich - neben langweiligen Supermarktprodukten unter anderem direkt vom Feld geerntete Maiskölbchen, wilder Majoran oder auch mal Brennnesseln. Sämtliche Botanikkenntnisse dienen nämlich bei mir allein dazu, essbare Pflanzen zu erkennen und mich so hemmungslos durch Wald und Wiese fressen zu können.
Das Wetter war gut, die Stimmung ebenso und die Eindrücke neu. Es war eine viel intensivere Form des Reisens als mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug. Jeden Meter musste man aus eigener Kraft zurücklegen, konnte die Umgebung dabei aber auch gleichzeitig deutlich besser betrachten, da sie statt mit 120 nur (bergab mit Rückenwind) mit 20km/h vorbeizog. Ungefähr 50 Kilometer legten wir jeden Tag zurück und erreichten Usedom nach vier Tagen. Jedoch sollte auch nicht unterschlagen werden, dass das nur gelang, da wir die Fähre zwischen Kamp und Karnin nahmen und uns so einen Weg von gut 30 Kilometern sparten.
Eine Woche lang waren wir gemeinsam unterwegs und verbrachten in diesen Tagen so auch permanent Zeit miteinander. Ich rechnete damit, dass man einander irgendwann überdrüssig würde, doch nichts dergleichen geschah. Es war ein wenig wie Big-Brother im Zelt nur ohne Kameras. Während dieser Woche war abgesehen von Toilettengängen die Privatsphäre quasi gestrichen; man war nie allein.
Das war auch der Aspekt, der mir am negativsten auffiel und zeigte, wie sehr ich es doch schätze, Zeit für mich zu haben. Das Nachdenken stören die anderen nicht, denn stille Momente hat man auch in einer Gruppe und die hirninternen und unsichtbaren Gedanken können derweil ungestört machen, was sie wollen, doch allein schon das Schreiben von Tagebucheinträgen oder Postkarten in aller Ruhe war kaum möglich. Von ungestörten Telefonaten ganz zu schweigen. Ich fühlte mich beobachtet und in meinen Tätigkeiten, die ich für persönlich hielt, gehemmt. Nicht einmal, weil ich direkt beobachtet wurde, sondern einfach nur, weil ich nicht allein war.
Schon immer war ich jemand, der das Alleinsein nicht als Bestrafung oder zu vermeidenden Zustand sah, sondern jemand, der diese Zeit schätzt. Ungestört seinen Gedanken nachhängen, einfach mal durchs Zimmer tanzen und dabei mitsingen ohne befürchten zu müssen, dabei beobachtet zu werden oder eben auch bloggen. Sich selbst zuhören und sich so selbst kennenlernen. Ich kann mich stundenlang allein beschäftigen ohne mich zu langweilen.
Schnell gilt man als ungesellig oder Eigenbrödler, wenn man sagt, dass man auch gern einmal auf Gesellschaft verzichtet, doch gern allein zu sein schließt nicht aus, auch die Zeit mit anderen genießen zu können.
Teilweise denke ich sogar, dass es wichtig ist, ungestörte Zeit zu haben. In solchen Momenten ist man nicht von den Gedanken anderer abgelenkt, sondern kann sich mit den eigenen beschäftigen. Strömen nicht permanent Informationen aus diversen Quellen auf einen ein, widmet man sich den eigenen Gedanken, weil sie nicht unter eben jener äußeren Informationsflut verschüttet werden. Besonders gut - musste ich schockiert feststellen - klappt das in diesem Offline, da sich dort von vornherein weniger Fremdgedankengut in Form von Posts, Tweets, Mails, Podcasts oder anderen Dingen anbietet und auch nicht ständig so leicht zur Verfügung steht und man so gezwungen ist, selbst zu denken.
Eigene Ansichten können nur durch aktives Nachdenken gebildet werden und das kostet Zeit. Nimmt man sich diese Zeit nicht, sondern stellt sich 24/7 einer Informationsflut von außen - in welcher Form konkret das letztlich auch immer stattfindet- gilt man vielleicht als gesellig und wirkt interessiert, doch ohne die eingehenden Informationen bewusst zu verarbeiten kann man sie letztendlich nur kopieren und im besten Fall selektiert wiedergeben. Und Persönlichkeit bedeutet meiner Ansicht nach nicht, nur die Gedanken anderer nachzuplappern. Copy/paste ist kein Synonym für Charakter.
Solche Personen, die das machen, sind uninteressant, weil man ohne selbstständiges Denken eine leere Leinwand ist auf der sich die Farben anderer schnell festsetzen und einfach nur ein Abklatsch des Originals bilden. Natürlich soll man die Meinung anderer und neue Informationen aufnehmen, doch das nicht unbedacht sondern bewusst und kritisch statt alles einfach hinzunehmen.
Die Einwirkung fremder Gedankengänge ist auch wichtig, um über den eigenen gedanklichen Horizont hinauszukommen und mehr als die gewohnten Facetten wahrzunehmen und so bin ich sehr froh, auf Menschen zu treffen, die solche Gedanken äußern. Gegenseitige Gedankenbereicherung und Diskussionen mag ich sehr; man muss nicht immer zu einem Konsens kommen: wenn die Diskussion zur Weiterentwicklung eigener Ansichten führt ist es meiner Meinung nach bereits eine wertvolle Unterhaltung.
Das Alleinsein ist aber wahrscheinlich nur solange angenehm, solange es ein für eine begrenzte Zeit selbst gewählter Zustand ist. Irgendwann möchte man seine entstandenen Gedanken und Erfahrungen auch einmal austauschen; kommunizieren. Der Mensch ist eindeutig ein geselliges Wesen und ständige Isolation ist bedrückend. Man braucht einen gewissen Austausch mit anderen; es scheint trotz der positiven Rezeption von Momenten für mich allein ein Grundbedürfnis zu sein.
Ich selbst habe nur jene beschriebene positive, episodisch selbst gewählte Einsamkeit erlebt, weshalb ich das Alleinsein auch nicht negativ assoziiere. Dass dauerhafte Einsamkeit, die vielleicht auf Unverständnis oder fehlender Akzeptanz von der Umgebung oder ähnlichen Gründen beruht, die zur permanenten Abkapselung und allein oberflächlichen Kontakten führen, sehr unangenehm sein kann, verstehe ich.
Es ist interessant herauszufinden, ob jemand für eine gewisse Zeit gut allein sein kann oder nicht. Es sagt meiner Meinung nach viel über die Person aus, ob sie gesellschaftslose Momente mit Serien und Filmen füllt oder sich auch einmal selbständig beschäftigt; denken kann. Es zeigt sich dabei, ob jemand mit sich selbst im Konflikt ist und sich dementsprechend von sich selbst ablenkt oder eine harmonische Beziehung zur eigenen Persönlichkeit hat, was sich auch immer wieder während des Kontakts zu den Personen offenbart.
Meiner Erfahrung nach findet man selten jemandem, dem man seine Gedankengänge offen darlegen kann und diese vom anderen toleriert und nachvollzogen werden können. In solche Gespräche fühlt man sich dann nicht von der Anwesenheit des anderen gestört, sondern man ist gemeinsam allein. Im positiven Sinne: die Anwesenheit anderer stört oder erstickt das freie Denken nicht; die Gedankengänge laufen nicht gegeneinander und versuchen über die des anderen zu dominieren sondern kollaborieren und ergänzen sich. Und vor allem versucht man sich nicht zu anzupassen oder zu verstellen, wenn man weiß, dass man vom anderen so wie man ist und sich auch allein verhalten würde akzeptiert wird.
In einer Gruppe habe ich eine solche Situation noch nie erlebt; nur mit wenigen Einzelpersonen gelangen mir solche Gespräche. Es ist also eindeutig noch Raum für Weiterentwicklung da; wie eigentlich immer im Leben.
Aber vorher lasse ich noch ein wenig die Gedanken schweifen. Allein.
Apfelkern