Was auch immer für Sorgen ich in meinem Leben bisher hatte: so fundamental eingeschränkt wie die aktuelle Situation hat mich davon noch keine. Wir sind es gewohnt, einfach vor die Tür gehen zu können, Kontakt zu haben, vielleicht zu jammern, dass wir zu wenig Zeit dafür haben vor lauter Verpflichtungen. Aber unterm Strich hatte ich noch nie ernsthaftere Sorgen beim Verlassen der Wohnung als die Bahn zu verpassen, vielleicht etwas vergessen oder mich zu warm angezogen zu haben. Jetzt auf einmal ist die unsichtbare Bedrohung überall.
Ende des letzten Jahres war alles ganz weit weg, neue Infektionskrankheit in China, ja ja, was erwartet man auch, wenn die Menschen dort irgendwelche Wildtiere essen und das wohl möglich auch noch halbroh? Im Januar habe ich das Geschehen interessiert beobachtet aber mir keine Sorgen gemacht. Das Leben ging weiter, Urlaube wurden geplant, Familienausflüge, Feste. Es drehte sich alles um die eigenen kleinen Freuden und Probleme.
Dann kamen die Einschläge näher, Infektionsfälle in Italien, dann Tote. Und plötzlich ging es ganz schnell. Auch wenn ich das mathematische Prinzip des exponentiellen Wachstums lange schon kenne, finde ich es unfassbar schwer, mir vorzustellen, wie aus einer winzigen Zahl so explosionsartig eine Lawine wird.
In einer globalisierten Welt teilt man alles, sowohl die guten als auch die schlechten Dinge. Und dabei schien gerade jetzt so sehr der Fokus auf das Wohl der eigenen Person zu liegen wie noch nie zuvor. Ist ja auch kein Wunder, sich selbst für unfassbar wichtig zu halten, wenn das Telefon einem anzeigt, dass Tausende bis hin zu Millionen von Menschen einem zusehen, wenn man ihnen nur die Bilder liefert, die sie sehen wollen.
Und ganz plötzlich ist Schluss mit dem Egoismus. Es heißt auf andere Rücksicht nehmen und zum Wohle der Gemeinschaft drinnen zu bleiben wenn man keine überlebenswichtige Aufgabe außerhalb hat. Mir ist klar, wie Infektionsketten funktionieren, dass ein einfacher Besuch im Supermarkt reichen kann, um andere anzustecken oder den Erreger weiter zu geben. Und trotzdem dachte ich gestern Abend darüber nach, ob ich nicht doch noch zum Biomarkt fahren und Sprossensamen für mein Sprossenglas kaufen sollte. Schließlich weiß man ja nie, wann das wieder normal möglich sein wird und so ein bisschen was frisches auf dem Essen ist doch auch schön. Mhm, vielleicht doch auch gleich noch eine Packung Leinsamen und Bio Zitronen mitnehmen?
Kurz nachdem mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde mir klar wie absurd und selbstsüchtig es wäre, wegen solcher nicht überlebensnotwendigen Dinge unter Menschen zu gehen. Obwohl man an Grundnahrungsmitteln alles da hat. Wenn das jeder so tun würde, nur weil er spontan Lust auf Schokoeis bekommt und keines zu Hause hat, ist das ganze Prinzip der sozialen Distanzierung zur Unterbrechung der Infektionskette schon dahin. Und mal ganz ehrlich: man kann auch ohne frische Sprossen und Schokoeis prima überleben. Wir sind einfach nur daran gewöhnt, unsere kleinen Luxusbedürfnisse schnell befriedigen zu können.
Gestern habe ich mit meiner neunzigjährigen Oma telefoniert. Sie schockiert die Situation wenig, weder leere Regale noch fehlendes Klopapier machen ihr Angst. Kenne sie ja alles schon vom Krieg. Und Klopapier gab es damals sowieso nicht. Da wurde einfach die gelesene Zeitung im Bad auf einen Nagel gehangen und dann bei Bedarf zur Reinigung verwendet. Ansonsten gab es feuchte Lappen, die man dann zur Rosettenreinigung verwendete und anschließend in die Wäsche gab. Heute muss es scheinbar schon mindestens vierlagig sein, damit das Hinterteil glücklich ist.
Mein Tipp an dieser Stelle ist seit Jahren die Reinigung mit Wasser. Hautschonender (auch bei Hämorrhoiden, Perianalekzemen und so weiter), viel sauberer als mit trockenen Tüchern alles möglichst dünn zu verreiben, vermeidet Müll und spart Klopapier. Wer nun kein Bidet hat, kann sich eine Podusche bestellen oder mit dem Duschkopf abspülen und mit einem einzelnen Blatt im Anschluss trocken tupfen.
Diese Woche hatte ich Urlaub und statt der geplanten Reise gab es stattdessen Heimquarantäne. Immerhin hab ich jetzt meine Steuererklärung fertig, einen Pullover gestrickt, täglich Sport gemacht und Breaking Bad auch fast komplett geschafft. In der kommenden Woche ist die Quarantäne dann für mich aber erst mal vorbei, da ich als Ärztin weiter arbeite. Ich bin gespannt, wie der Praxisalltag sich verändert. In meinem Fach habe ich mit internistischen Erkrankungen oder Atemwegsproblemen normaler Weise kaum zu tun, was auf der einen Seite bedeutet, dass ich vorerst mit den an COVID-19 erkrankten Patienten weniger zu tun habe, da ich nicht der erste Ansprechpartner bin. Auf der anderen Seite bin ich damit umso schlechter vorbereitet, sollte es eine zentrale Anordnung geben, dass jede medizinische Fachrichtung bei der Patientenversorgung alles vom neuartigen Coronavirus Betroffenen mithelfen muss. Viel Glück, wenn der Dermatologe sie intubiert!
Es könnte alles schlimmer sein. Wir werden nicht mit Bomben beworfen, unsere Wohnungen brennen nicht und die Lebensmittelversorgung ist auch gesichert. Wenn wir jetzt alle vernünftig sind, Kontakte meiden, Hygieneregeln einhalten und wenn möglich einfach isoliert drinnen bleiben (auch, wenn wir gern doch noch eine Kleinigkeit aus dem Geschäft hätten oder uns nach Gesellschaft und Frischluft sehnen), dann lässt sich die Situation bewältigen. Es wird wirtschaftlich, gesellschaftlich aber auch in der Kranken- und Todesfallstatistik nicht spurenlos an uns vorbei gehen. Dennoch bin ich der Ansicht, dass Panik niemals die Lösung sein kann. Wir haben keine andere Wahl außer durchhalten. Und so gut versorgt mit Internet und Lebensmitteln lässt es sich auf dem Thron aus Klopapier besser aushalten als wahrscheinlich in jeder Krisensituation zuvor.
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