Freitag, 11. Mai 2012

Puderzuckerwolken

Gerade noch kleiner Hosenscheißer, dem man permanent hinterherputzt, dann Dreikäsehoch, niedlicher Fratz, Grundschüler und plötzlich steht die Jugendweihe vor der Tür. Die Zeit vergeht schnell.
Und da waren dann die Einladungen für die Jugendweihe. 

Vor einer Woche traf sich die Verwandtschaft an der Festhalle, ausgehfein im Anzug mit Krawatte oder Feinstrumpfhose. Kaum am Zielort angekommen, überfiel mich die Überzeugung am falschen Ort zu sein: Mädchen in quietschbunten Cocktailkleidern, die weder das Knie noch die Hälfte des Oberschenkel bedeckten, Jungs in Anzug mit Krawatte oder Jeans zu Sakko und Goldkettchen, pompöse Frisuren, bei denen von hochgesteckten aufgeplusterten Lockenballen über sich herabringelnde Schweineschwanzlöckchen bis blütenverzierten Pagenköpfen mit glitzrigem Haarreif alles dabei war, ein Make-Up, das sich vom Wort dezent gekonnt zu distanzieren wusste und Schuhe mit einer Absatzhöhe, mit denen man beinahe den Himalaya hätte überragen können.
Hä - und wo ist hier die Jugendweihe?

 Ich sah nur aufgebretzelte junge Menschen, die eher so aussahen, als wären sie auf dem Weg in einen Club. Jedenfalls lag es außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass Eltern ihre Kinder so durchgestylt und aufgemotzt zu deren Jugendweihe gehen lassen würden.
Spätestens während der Feierstunde als all die sorgfältig gerüschten und geföhnten Jugendlichen auf die Bühne gerufen wurden war es sicher, dass sie nicht nur zufällige Gäste in unpassendem Outfit waren.
Ich dachte an meine eigene Jugendweihe vor mittlerweile fünf Jahren. Damals war die Kleidung mehr als deutlich weniger hochgestochen gewesen, die drei oder vier Mädchen, die so auffällig aufgeputzt waren wie die weiblichen Jugendweiheteilnehmer es in diesem Jahr waren, wurden als eitel und übertrieben gekleidet beäugt, die Mehrheit beschränkte sich auf Rock und Bluse oder einen Hosenanzug, die Jungs machten keine Anstalten, im Anzug zu erscheinen sondern hielten Jeans und Hemd für völlig ausreichend.

Im Gespräch mit befreundeten Familien kristallisierte sich die Ansicht heraus, dass es völlig angemessen wäre, dem 13- oder 14- jährigen Sprössling für diesen Tag Kosmetikbesuch, Maniküre, Pediküre, einen Friseurbesuch, ein pompöses Kleid und professionelles Make-up zu gönnen. Mir kam der Gedanke, das ich anlässlich der Jugendweihe zum ersten Mal beim Friseur die Haare geschnitten bekam statt mich nur auf Muttis eingeschränkte Frisierkünste verlassen zu müssen.
Muss ich diesen Schock als Anzeichen dafür nehmen, dass ich alt werde? Ist das heute völlig normal, sein Kind wie einen kleinen Prinz und eine kleine Prinzessin zu hofieren?

Es waren ja nicht nur die High Heels, in denen wenn ich überhaupt darin stehen können würde ich wohl keine zehn Meter unfallfrei zurücklegen könnte, die mich in Erstaunen versetzten, den gleichen Effekt hatten auch die Ausmaße der Geschenke. Mal einfach so ein iPhone, weil das drei Monate vorher bekommene Smartphone ja nur von Samsung war, zweitausend Euro hier und dreitausend Euro da, ein Moped, falls man irgendwann mal einen Führerschein machen würde....
Ich dachte, ich wäre im falschen Film. Da hatte ich mich über dreihundert Euro, ein paar Bücher und eine Silberkette gefreut, während nun kleine Vermögen verschenkt wurden. Ist das die Inflation oder wie kann ich mir das erklären?
Millionenschwer ist jedenfalls keine der befreundeten Familien, deren Geschenkeflut ich miterleben konnte. Feiern mit weniger als zwanzig Gästen galten als klein und wenig gewinnbringend (Merke: jeder Gast = mindestens 50€), Einnahmen unter tausend Euro als enttäuschend.

Welches Interesse hätte ich als Mutter daran, meinem Kind ein so verschobenes Weltbild zu vermitteln? Ich halte es nicht für sinnvoll und normal, seine Wertschätzung derart zu ruinieren. Es muss ja nicht unbedingt in diesem Alter mit Geldwerten umgehen, die sich besser mit dem Wert von MacBooks als in dem von Alben beschreiben lassen. Lebensfremde verwöhnte Lieblinge, Püppchen, die erwarten, dass ihnen alles geschenkt wird, sind einfach nicht das, was ich für eine Bereicherung der Gesellschaft halte.

Vielleicht bin ich ja nur neidisch. Und doch frage ich mich, ob der aufwendige Putz und die Geschenkeberge den Tag wirklich zu einem besseren machen. Was soll man denn dann erst zu seiner Hochzeit anstellen, wenn jetzt schon von Maniküre bis hin zu Blumenlieferdienst und Catering alle Register gezogen wurden? Ich halte es für übertrieben, maßlos.

Überreagiere ich? Sind das verschrobene Wertvorstellungen, die das letzte Update der Gegenwart verpasst haben?

Vorerst bin ich froh, dass diese amerikanischen Sweet-Sixteen-Partys sich bei uns noch nicht durchgesetzt haben. Man braucht ja nicht noch mehr Anlässe, seinen Kindern bis zum Zuckerschock Puderzucker in den Allerwertesten zu blasen.
Meiner Meinung nach brauchen Kinder Liebe, Geborgenheit, Aufmerksamkeit und Freunde statt dem dritten Smartphone und Designerkleidung. Die wertvollsten Dinge sind die, welche man weder kaufen noch umtauschen kann.

Apfelkern

4 Kommentare:

  1. Was immer es auch ist: Ich schließe mich an und erblasse ebenfalls vor Neid. :D
    Nein, Quatsch. Ich finde nicht, dass das sein muss...Und dass es für Kinder tatsächlich manchmal besser ist, wenn sie bescheiden bleiben...:)

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  2. Hier kann ich dich enttäuschen. Meine Konfirmation liegt ja nun schon ein paar Lenze mehr zurück. Aber auch Anfang der 90er erwartete man z.B. von den Herren einen Auftritt im Anzug (welcher meist dunkel ausfiel). Da galt ich mit meiner Jeans zu einem modisch-grünen Jackett schon fast als zu flippig-leger. Die Damen kamen in der Regel im Schwarzen - die Veranstaltung hätte also auch fast beliebig z.B. eine Beerdigung sein können. Finanziell war ich mit meinen ca. 2000 DM Cash ziemlich weit unten in der Rangliste. Es gab allerdings noch einen Sparbrief, der mir nach erlangter Volljährigkeit noch einen DM-Betrag im mittleren 4-stelligen Segment versprach. Übrigens hat es keiner wegen des Glaubens gemacht, sondern es gab in dem Jahrgang einfach nicht mehr als ein, zwei coole Elternpaare, die ihrem Sproß das Geld auch unter der Prämisse der eigenen Entscheidungsfreiheit versprachen. Wir anderen mußten dafür etwas "leisten".

    Generell galt uns dieser Anlaß als Meilenstein der eigenen Unabhängigkeit in so fern, daß man eben die erste Finanzspritze erhielt, um damit die Zeit bis zum nächsten großen Happening wie dem Schulabschluß oder 18. Geburtstag zu überbrücken. Ansonsten hatten wir ja nichts. Gut, ich war es gewohnt, mein Mittelstandstaschengeld durch eigenes Arbeiten aufzubessern und hatte auf diesem Wege schon immer große Anschaffungen wie Fernseher, Videorekorder oder Computer finanziert. Diese Gelegenheit jedoch war dann die Chance mal etwas zu prassen und in der Regel einen großen Wunsch zu erfüllen. Bei mir war es der dicke HiFi-Turm mit allen Schikanen. Heute ist es kaum vorstellbar, daß dabei ein Doppel-Autoreverse Kassettendeck nebst dem obligatorischen CD-Player eine echte Sensation war.

    Ich glaube, wir waren damals einfach konsumgeile, egozentrische Materialisten.

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  3. Ach, die kleinen Rotzblagen, die alles hinterhergeschmissen bekommen. Aufbretzeleien mag ich ja sowieso nicht. Und was das Rumgeschenke angeht: Über die Jugendweiher kann ich mich gar nicht beschweren. Ich würde mich ja auch gerne beschenken lassen. Ich wurde damals auch konfirmiert und das Hauptargument, das über mich ergehen zu lassen, war das Geld, dass man dabei bekommt. Für die etwa 2000DM habe ich mir damals meinen ersten eigenen PC gekauft. Das war es also wert. Und der Ausgleich dafür, dass ich als Kind kein iPhone oder Gameboy oder auch nur Fenster hatte. Früher haben wir uns ja noch gefreut, wenn wir einen Kronkorken oder einen Holzkreisel geschenkt bekommen haben.

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  4. Leider habe ich noch keine Mail mit deiner Adresse von dir erhalten und ich möchte dir doch soooo gerne das Buch zuschicken...

    Liebe Grüße :)

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