Donnerstag, 9. August 2018

Altmännerromantik

Seitdem die ganze Debatte zum Thema #MeToo aufkam, ist ja schon einige Zeit vergangen. Als das Thema ganz heiß in den Medien war, war ich immer erstaunt, was andere Frauen alles schon erleben mussten. In meinem zivilen Alltag habe ich selbst sonst offen gesagt wenig sexistische Belästigung erfahren. Doch im Krankenhaus sieht es komplett anders aus.

Ich studiere Medizin und nähere mich inzwischen dem Ende des Studiums. Aktuell befinde ich mich im praktischen Jahr, in dem man durchgängig im Krankenhaus in verschiedenen Abteilungen arbeitet. Und nach zehn Monaten Krankenhaus kann ich sicher sagen: sobald man sich als Frau die weiße (blaue, grüne…) Uniform anzieht, ist man scheinbar für anzügliche Bemerkungen freigegeben.

Es sind hauptsächlich ältere Herren, die unangenehm werden. Häufig sind es auch die geistig nicht mehr ganz fitten. Sobald da ein bisschen Demenz ins Spiel kommt oder das Frontalhirn aus anderen Gründen die Willenskontrolle nicht mehr auf die Reihe bekommt, brechen die unangemessenen Gedanken aus den Köpfen aus und verstören weibliches Personal.

Beispiel.

Ein 80-jähriger Herr kommt mit Anämie ins Krankenhaus. Der Mangel an roten Blutkörperchen hat ihn ziemlich geschwächt. Ich darf ihn betreuen. Mit Rücksprache mit den anderen Ärzten, doch erst mal bin ich verantwortlich.
Ich befrage den Patienten nach seinen Symptomen, seiner Vorgeschichte, untersuche ihn, nehme Blut ab, bereite schon mal das Kreuzblut für die Transfusionen vor. Um auch noch rechtzeitig die Anmeldung für die Magenspiegelung am nächsten Tag zu machen (man muss ja nach einer möglichen Blutungsquelle als Ursache der Anämie suchen und der obere Verdauungstrakt ist eine sehr häufige) und sicher zu stellen, dass die Bluttransfusionen auch noch am selben Tag laufen, bleibe ich extra länger.  Die anderen Ärzte hatten viel zu tun an dem Nachmittag, sodass der ältere Herr auf der Strecke geblieben wäre, weil es schwerer Kranke gab. Also leiste ich meinem Pflichtbewusstsein Folge und sorge dafür, dass die Transfusionen erledigt werden. Bezahlt wird mir da nix.
Nächster Tag. Es geht dem Patienten sehr viel besser. Keine Luftnot mehr beim Laufen, kein Herzrasen mehr, nur weil er vom Bett ins Bad will. Ich wünsche ihm einen guten Morgen und erkläre, dass ich noch einmal Blut abnehmen möchte, um zu kontrollieren, wie nach der Transfusion die Werte sind.
Er streckt mir die Arme entgegen. "Bedienen Sie sich ruhig an mir!". Okay, soweit so gut.
Ich lege den Stauschlauch an, ziehe ihn fest.
"Oh, packen Sie ruhig ordentlich zu. Am liebsten nicht nur am Arm; Sie wissen ja wie das geht." Er zwinkert mir zu.

...

Das sind Momente, in denen ich mich dann echt selbst dafür verfluche, meine freie Zeit dafür aufgewendet zu haben, um Leuten zu helfen, die dann am Ende nicht mal nett zu einem sind. Obwohl - vielleicht denkt er ja, es wäre ein Kompliment. Ich hätte mir gewünscht, dass er die nun vorhandene Luft genutzt hätte, um was sinnvolleres und vor allem weniger anzügliches zu sagen.

Solche Situationen sind nicht selten. Kleine Kommentare unter der Gürtellinie. Als würden senile Männer ernsthaft denken, es würde weibliches Personal erfreuen, wenn sie ihnen sagen, dass sie gut aussehen, wenn sie sich bücken, einen anderen Patienten im Bett mobilisieren oder sich einfach nur zur Untersuchung ihnen entgegen beugen. Es ist total verstörend, wenn völlig fremde Menschen versuchen, einem ins Gesicht zu greifen, nur weil man in der Nähe ist. Da macht man sich trotz höchstmöglicher Bettenposition den Rücken krumm, weil adipöse alte Leute furchtbare Venenverhältnisse haben, vor Luftnot nicht liegen können und man versucht, noch eine Infusionsnadel in sie rein zu basteln und alles, was denen einfällt, sind widerliche Bemerkungen. Danke schön!

Mit Frauen ist mir so etwas noch nie passiert. Die komplimentieren nur Ohrringe und fassen im schlimmsten Fall mal Haare an und murmeln, welche Frisuren sie früher mal hatten. Das unangenehmste Erlebnis war, bei einer Blutentnahme während der die Patientin weiter frühstückte, mir unerwartet ein angebissenes Wurstbrötchen ins Gesicht gehalten wurde. Ich müsse ja auch mal was essen und könne hier nicht nur arbeiten.

Dass Frauen im Krankenhaus von Personen über 60 Jahren generell nur mit "Schwester!" angesprochen werden - ganz egal, ob sie Kittel und Doktortitel tragen sowie seltsamer Weise nie den Patienten waschen und aufs Klo bringen - ist ja eine Sache, die ich inzwischen tolerieren kann, doch diese anzüglichen Kommentare kotzen mich echt an.
War damals Respekt vor Frauen kein Teil der Erziehung? Also wenn das der damalige Standard des romantischen Annäherungsversuches ist, dann wundert es mich wirklich, dass die Bevölkerung hierzulande nicht längst ausgestorben ist.

3 Kommentare:

  1. Wow, ich hätte dem sowas von erzählt! Also klar, nicht anblaffend und nicht abwertend, aber wer schon wieder genug geradeaus laufen kann und eindeutig nicht mehr weggetreten ist von seinem Zustand, als quasi körperlich unzurechnungsfähig, der muss auch eine Antwort vertragen können. Mit viel schwarzem Humor und SCHMACKES! Nicht für den anderen (die lernen es nicht mehr), aber für mich selbst. Um mir das Gefühl zu geben: ich schütze mich. Ich passe gut auf mich auf. Mach ich mit allen, das ploppt so aus mir raus. Aber ich glaube, daß kann jeder gut üben. Also.. Abwimmeln für Anfänger, quasi. Nur wenn du willst, natürlich!

    Danke für den Einblick!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Insgeheim würde ich das auch gern können: so richtig klar sagen, dass das nicht okay ist. Dann aber frage ich mich, ob er das überhaupt mental begreifen kann, ob es bei ihm überhaupt noch was ändern würde an der jahrzehntelang gepflegten Weltanschauung und ob es sich deshalb lohnen würde, die Nerven und Zeit zu investieren. Da bin ich dann eher distanziert und verbringe so viel Zeit wie nötig mit dem entsprechenden Patienten aber kein bisschen mehr.
      Kann man so schlagfertige Antworten lernen oder konntest du das schon immer? Weil auch wenn du meinst, dass man es üben kann, gibt es schlicht Leute, denen es leichter fällt, ihre Gefühle aus sich raus ploppen zu lassen.

      Löschen
    2. Hehey,
      was lange liest, kommt auch zurück zum Kommentieren (hab ja jetzt mehr Zeit dazu).. also :-D
      "Kann man so schlagfertige Antworten lernen oder konntest du das schon immer?" Versteh ich gut, die Frage; mein Süßer ist auch nicht so gut darin, allerdings nur in Situationen, die ihm Angst machen, bei anderen kann er das und ist voll locker. Konkret hat mal ein älterer Kollege von ihm zu einem Chefarzt rausgehauen, der die beiden fragte, 'warum sie ihm hier im Weg stehen' (und da was für den hohen Herrn gearbeitet haben!): "Weil Menschen noch nicht fliegen können." Einfach so. Ohne die Stimme zu erheben. Trocken raus. Sowas muss man sich merken *lol* ich fand das großartig!!
      Mir ist eine große Klappe aber angeboren, denke ich, geübt habe ich aber auch: so mit 12, da hat meine Schwester mit Ironie beigebracht und ein paar Sprüche und die Lässigkeit kam dann beim Machen.

      Ich sag auch gar nicht, daß jeder voll die Rhetorikmaschine sein muss, und auch nicht, daß du den alten Herrn noch belehren könntest, aber ihn an sich abprallen zu lassen kostet nicht Nerven und Mühe, sondern schenkt Frieden und Stolz und die Gewissheit, sich schützen zu können vor Verbalidioten. Mir zumindest!!

      Ich wünsch dir was!

      Löschen