Donnerstag, 12. April 2012

Selbstangelegte Scheuklappen

Klare Formen, viel Licht und Weiß, Blüten und ein mit Seviettentechnik verziertes Tablett. Darauf Porzellan mit Goldrand vom Flohmarkt, ein Becher Bubble Tea, ein mit Liebe gebackener pompöser Cupcake, dessen gestern vorgestelltes Rezept natürlich verlinkt ist und ein aufgeschlagenes Buch. Irgendein Klassiker mit dekorativem Einband und individuellem Lesezeichen.
Das ist ein klassisches Motiv für die Bilder diverser Lifestyleblogs. Inspiration steht darunter.
Man zeigt Ordnung, Sauberkeit und Harmonie, sodass der Leser fast vergisst, dass die Welt nicht aussieht, als wäre sie dem IKEA Katalog entsprungen. Man fokussiert sich auf sorglose, angenehme Bilder und verschwendet keinen Gedanken daran, welches Chaos allein die Cupcakes in der Küche verursacht haben.

Es ist wie mit allem im Leben: wenn wir die Wahl haben, richten wir unseren Blick auf jegliche sich bietende scheinbar perfekte Idylle und ignorieren den dreckigen Rest. Schließlich ist es nur verständlich, wenn man sich angesichts eigener Probleme nicht noch mit denen anderer belasten will.

Nur weil wir für eine bevorstehende Feier bei unserer liebsten Restaurants das Catering bestellen wollten, verschlug es uns in ein kleines Einkaufszenrum, das wir lange nicht mehr besucht hatten. Durch zwei verschiedenen Baustellen war der Weg dorthin über ein Jahr lang fast völlig blockiert gewesen und so hatten wir wie viele andere längst schon Alternativen gefunden.
Der Zustand des Einkaufszentrums erschreckte: viele leerstehende Läden, in den noch existierenden war man mit dem Betreten dieser bester Kunde. Der Gang war verlassen. Es ist ein seltsames Gefühl, fast allein zwischen den löchrigen Ladenzeilen zu sein. So muss es sich wohl in einem Geisterhaus anfühlen.
Als wir an einem Geschäft vorbeiliefen, winkte uns eine einsame Verkäuferin gleich herein und versuchte vergeblich, uns für ihren Schmuck zu begeistern. Von ihr erfuhren wir auch, dass der Schlecker nebenan gerade geschlossen hätte, weil die Verkäuferin allein war und ihre Arbeitszeit für heute vorbei war, aber keine Ablösung kommen würde.

Das Gefühl des Unwohlseins beschlich uns alle, es drängte sich förmlich auf. Die Leere, die dunklen gescheiterten Geschäfte, die beobachtenden Augenpaare der Verkäufer - nichts davon versetzt den Kunden in Kauflaune. Da ist der fortschreitende Verfall nicht verwunderlich.
Die Kundschaft weicht einfach auf die anderen Einkaufszentren und Läden in der Umgebung aus - es gibt ja genug. Und so muss man sich auch nicht mit der Qual des Scheiterns befassen und sich von dem traurigen Anblick den Tag verderben lassen. Husch, husch - schnell zurück in den sauberen, gut ausgeleuchteten Teil der Welt.

Es ist angenehm, sich von dieser Darstellung blenden zu lassen. Auch mich drängt es nicht zurück in die verkommende Einkauspassage, wo es doch andere gibt. Als ob die EDEKA Filiale dort anders wäre - es sind einfach nur auffällig weniger Menschen dort und die Stille fühlt sich fast drückend an. Lieber in der Masse untertauchen, nicht über die Schattenseiten des Lebens nachdenken, nicht nachdenken.

Immer mehr immer prächtigere Dinge locken uns. Sechzig Einkaufszentren gibt es jetzt schon in Berlin. Sechzig.
Denkt man daran, dass es neben den großen Shoppingpalästen noch unzählige kleine und größere Geschäfte gibt, wird klar, dass es einfach zu viel ist. So viel wie dort angeboten wird, braucht niemand. Logisch, dass das Ziel des ewigen Wachstums, des endlosen Aufschwungs eine Lüge ist. Irgendwann hat man genug. Selbst mit einem gewissen Verschleiß und Gebrauchsgegenständen in der Kalkulation, ergibt sich für den Bedarf eine Sättigungskurve.
Aber nein, achtet nicht auf eure tatsächlichen Bedürfnisse - ein Fernseher ist nicht genug, Kleidung, Autos und Schuhe kann man sowieso nicht genug haben. Egal, ob es alles ungenutzt im vollgestopften Schrank verrottet - kauft ruhig. Schließlich ist es erste Bürgerpflicht, seinen Beitrag zum endlosen Wachstum zu leisten.

Es muss Verlierer geben, damit jemand gwinnen kann. An einer Stelle blüht es, weil an der anderen Stelle das Wasser fehlt. Und den vertrockneten Rasen sehen wir uns nicht an, wir wollen es nicht sehen. Die Sache mit der Gerechtigkeit lässt sich einfach schlecht umsetzen.

Mir ist ganz klar, dass dieses langsam zugrunde gehende Einkaufzentrum nur ein Beispiel unter vielen ist. Ich weiß, dass es nicht viel besser wird, nur weil wir Essen geordert und ein Paar Schuhe gekauft haben. Doch umso mehr ist mir dann die gestellte Idylle der florierenden Geschäfte zuwider. Das gehypte Produkt von heute wird bald in der Schublade verschwinden, um einem neueren, besseren Objekt der Begierde Platz zu machen.  Ich denke, dass dieses Handlungsmuster schon vielen augefallen und sie erschreckt hat. Trotzdem lockt der Glanz des Neuen. Alle haben es, also will ich auch.
Man spürt den Konsumdruck. Wie, du hast nicht das aktuelle iPhone?!
Und schon richtet man die begierig glänzenden Augen auf neue Dinge und wünscht sich etwas, das man nicht braucht. Man vergisst die eigentlichen Bedürfnisse und den gesunden Menschenverstand am liebsten gleich noch dazu. Alles, das an die Schattenseiten dieses Verhaltens erinnert, wird sorgsam ignoriert.
Clean, kosmopolitisch, modern - gern lassen wir uns von solchen Bildern verführen und begehren die Objekte darauf, in der Hoffnung, mit ihrem Besitz in die darin gezeigte Illusion eintauchen zu können.

Wird nix, nächster Wunsch. War alles so sehr Fassade wie ein guter Lifestyle Blog.


5 Kommentare:

  1. ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mit dem text soweit nicht so viel anfangen kann. vielleicht muss ich das erst mal auf mich wirken lassen...

    aber bis zum vorletzten satz, genauer zu dem wort "nix", war ich begeistert von dem einblick deiner ansichten. du schreibst deine posts immer sehr interessant und wohlüberlegt - die rechtschreibung ist immer gut und macht den text angenehm zu lesen. und dieses "nix" hat für mich gerade dieses andächtige "wort-für-wort"-einsaugen zerstört... ja ich weiß, das ich meckern auf sehr hohem niveau, da du ja sehr bedacht schreibst und der text an sich (und seine bedeutung) eine ziemliche tiefe hat. aber gerade deshalb wollte ich dir diesen kleinen gedanken von mir mitteilen =)

    freue mich auf weitere tiefgehende texte von dir ♥

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    1. Dass du den Text nicht für einen Beitrag zur persönlichen Weiterentwicklung hälst, ist völlig legitim. Im Gegenteil: es ist mutig und auch bewundernswert, zuzugeben, dass man mit etwas nichts anfangen kann und es ist wesentlich besser, als einfach darüber zu schweigen oder einen nichtssagenden Kommentar zu hinterlassen.

      Meine Texte erheben keinen Anspruch auf Gültigkeit oder Vollständigkeit. Sie entstehen aus einer Situation heraus und sind daher Momentaufnahmen, in denen ich oft zu erörtern versuche, was ich über ein Thema denken darf, soll, muss oder kann. Die Meinungen anderer dazu sind sehr anregend, weshalb ich die Texte auch teile, doch erwarte ich gar nicht, dass andere exakt so denken wie ich, sondern viel mehr weitere Ansichtsweisen einbringen.

      Das Wort "nix" hat eine sehr disruptive Wirkung und entspricht auch nicht meinem üblichen Schreibstil, weshalb es den einlullenden Textfluss unterbricht und den Leser somit aufschreckt. Ich habe es ganz bewusst an dieser Stelle eingesetzt, um Aufmerksamkeit für den letzten Satz zu schaffen. Wenn es geschafft hat, das "andächtige Wort-für-Wort-Einsaugen zu zerstören, dann hat es seinen ihm von mir zugedachten Zweck erfüllt.
      Denn meine Texte sollen vielleicht nicht nur einlullen und Unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen.


      Vielen Dank für deinen Kommentar, die konstruktive Kritik und natürlich auch das Lob für Rechtschreibung und Schreibstil.Da haben die Deutschstunden und der Lateinunterricht wohl doch was gebracht.

      Gruß,

      Apfelkern

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  2. ein wirklich guter text, über ein thema, über dass ich mir auch schon einige gedanken gemacht habe. du hast das wirklich sehr, sehr schön und passend verschriftlicht. vielleicht kannst du so einige menschen aufwecken, die wieder andere ausfwecken und so weiter. es würde mich freuen, denn das von dir kritisierte hat eine wirklich nicht zu verleugnende wichtigkeit. das geht jeden etwas an und ja, das wachstum kann nicht ewig so weitergehen. :/

    liebe grüße u. einen schönen tag noch wünscht josi

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  3. Das immer nach neuem Suchen, immer wieder neue Bedürfnisse wecken lassen und erfüllen soll wohl nur eine innere Leere füllen. Konsumieren ist einfach, konsumieren tut nicht weh, es schafft Bewunderung und Anerkennung. Hier in FFM standen am Tag des Neuerscheinens des neuesten Apple-Irgendwas die Leute in einer 3000 m langen Schlange vor dem Apple-Store... um der Erste zu sein, der mit diesem Produkt, was man nicht braucht Leute beeindrucken kann, die er nicht leiden kann, von Geld das er nicht hat.
    Letzten Endes kann man nur bei sich selber anfangen. Mit Erschrecken beobachte ich bei einer gewissen Bildungsbürger-Klientel diesen Hang zur Selbstdekoration mit "Nachhaltig kaufen", mit einer neuen Marketingmaschinerie, auch nicht besser, nur anders. Und gibt auch hier wieder Dinge kaufen, um wieder eine neue Fassade zu schaffen, um deine Worte aufzunehmen. "WIR fahren Hybridauto und trinken Bionade". Warum nicht einfach "nichts kaufen"? Auch wenn das uncool ist.
    Danke für diesen nachdenklichen Beitrag voller Eloquenz und feiner Beobachtung

    Mono

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    1. Danke für diesen wohldurchdachten Beitrag, der sogar eines meiner Lieblingswörter enthält: Eloquenz!

      Viele Grüße,

      Apfelkern

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