Montag, 23. April 2012

Schreiend versteinert

Eine normaler Tag, eine Routinehandlung, ein Ausbruch aus der Routine und -zack! Die Katastrophe ist geboren.

Da kocht das Kartoffelwasser über, ein Reh springt auf die Fahrbahn, man wedelt mit dem Kochlöffel umher und schon hat er Muttis Lieblingsvase zertrümmert, jemand bricht spontan einen Streit mit euch vom Zaun oder Oma kippt von der Bank. Was nun - wie reagiert man in mehr oder weniger brenzligen Gefahrensituationen?

Im Tierreich gibt es drei klassische Reaktionen: Fight, Flee or Freeze. Kämpfen, flüchten oder erstarren. Die Alternative wäre im Ernstfall wäre der Tod. Nun ist der Mensch auch ein Tier, sodass es interessant wäre, unsere Reaktionen näher zu betrachten Besonders, da wir ja nicht unbedingt wie die Antilope als Fluchttier oder wie der Marienkäfer als stets durch Starre den Tod vortäuschendes und sich als Beute so uninteressant machendes Wesen einzuordenen sind.
Vielleicht sind wir ja je nach Situation zu verschiedenen Folgehandlungen geneigt.

Ich erinnere mich noch gut, wie ich vor inzwischen mehr als nur einigen Jahren mit meiner jüngeren Schwester in der Vorweihnachtszeit einen schönen elternfreien Abend verbrachte. Im Kunstunterricht hatten wir an diesem Tag Kerzen aus Wachsplatten gerollt und auch Kerzen gegossen, was mich unglaublich beeindruckt hatte. Jeder durfte nur eine Kerze herstellen und ich hatte mich gleich entschieden, eine Kerze zu rollen und anschließend zu Hause Wachs zu schmelzen und meine eigene Kerze zu gießen. Meine Schwester war sofort begeistert von der Idee und somit dabei.
Mit Spülmittel als Antihaftschicht eingeriebene Marmeladengläser (fragt mich nicht, woher ich die Idee mit dem Spülmittel hatte) dienten als Form, mit Schaschlikspieß und Wäscheklammer positionierte ich den Docht in der Mitte des Glases.
Die Wachsreste fast abgebrannter Kerzen hatte ich gesammelt. Jetzt war nur noch die Frage, wie ich sie am besten schmelzen konnte. So kreativ wie ich war, nahm ich eine leere Konservendose, die ich mit dem Wachs füllte und auf der Herdplatte erhitzte. Sagen wir es so: geschmolzen ist das Wachs prima. Und plötzlich war da die riesige Stichflamme. Meine Schwester schrie nur, ich wusste gar nicht, was ich machen sollte. Zwei hilflose Grundschulkinder und eine Dose brennendes Wachs.

Ich tat das erstbeste, das mir einfiel: ich zog die Backhandschuhe an, griff damit die Dose und sprang damit begleitet vom panischen Kreischen meiner Schwester die zwei Meter zur Spüle. Und was hilft gegen Feuer? Genau, Wasser. Schade nur, dass es bei Fettbränden die Situation alles andere als besser macht.
Ich ließ Wasser aus dem Hahn in die Dose - sofort spritzte das Wachs in einer weiteren Stichflamme nach oben. Dann erlosch die Flamme. Ruß war an den Wandfliesen und in jedem erdenklichen Winkel Wachsspritzer. Mir ist schleierhaft, wie ich das geschafft habe, doch ich habe weder meine Schwester mit dem heißen Wachs übergossen noch mich verbrannt.

Erst dann realisierte ich die eben durchlebte Gefahr und begann zu zittern. Nicht nur ein bisschen - ich habe richtig geschlottert vor Angst. Wie in einem schlechten Film. Ich musste mich erst einmal setzen. Mir war klar, dass nicht viel gefehlt hätte, die Küche anzuzünden. Zwölfjährige Pyromanin legt Brand, ich sah es schon vor mir.

Es fällt auf, wie unterschiedlich Menschen auf Notsituationen reagieren.

Welche Reaktion ist am günstigsten? In Panik und Hysterie zu verfallen hilft sicher nicht, doch im Nahhinein fast vor Zittern umzukippen ist sicher auch nicht die optimale Reaktion.
Es heißt immer, dass man einen kühlen Kopf bewahren soll und vernünftig reagieren soll, doch das sagt sich auch viel leichter als es sich umsetzen lässt. Erst denken und dann handeln. Aber doch nicht, wenn die Handlungsentscheidung sofort getroffen werden muss. Reflexe, Intuition und Urinstinkt mögen wirksam werden - aber ausgiebige vorrausschauende Situationsanalysen?

Gibt es wirklich Menschen, die wenn neben ihnen einen Schuss fällt sofort überlegen, wohinter sie sich ducken können, das möglichst kugelfest ist? Überlegen sie sich in der Millisekunde, in der sie zum Sprung ansetzten, in welchen vom Angreifer aus möglichst schwer erreichbaren Winkel sie sich zurückziehen wollen? Ich meine damit nicht James Bond und Freunde, sondern Otto Normalverbraucher. Es wäre besser, vorher zu überlegen, welchen Fluchtweg man nimmt, bevor man in einen abgesperrten Gang stürmt. Klar. Aber ich zweifle dennoch, ob ich nicht einfach den ersten entdeckten Weg, der  aus dem einstürzenden Gebäude führen könnte, nehmen würde.
Entscheidungen, die unüberlegt getroffen werden und doch entscheidend sein können.

Na gut, wenn es um das Kartoffelwasser geht, ist es weniger tragisch.
Ich ziehe den Topf vom Herd (Symptombekämpfung), meine Mutter dreht die Herdstufe zurück (Ursachenbekämpfung - ist was für Fortgeschrittene), meine Schwester erschreckt sich vor dem Zischen des verdampfenden Wassers und mein Vater ruft, dass sich mal jemand um die Kartoffeln kümmern soll.

Meine Frage an euch: wie reagiert ihr? Panisch, pragmatisch, Fluchtreflex oder doch das Reh im Scheinwerferlicht?

Apfelkern

9 Kommentare:

  1. oh! Du bist also auch ein unfreiwilliger Feuerteufel. :D
    Ich kann dir genau sagen wie ich reagieren würde.
    Auch angestachelt von einem Kunstprojekt (wieviele Kunstlehrer wohl Ursache von Bränden sind?) hatte ich meinen Teppich in Brand gesetzt. Ich schrie nach den Eltern im Wohnzimmer, während ich mich einfach nicht bewegen konnte und nur den Flammen zu sah.
    Und dann war da noch eine andere Sache, die eine verkohlte Herdplatte einbezieht aber das war nicht ansatzweise so brenzlig.

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  2. Im Alltag und eigentlich immer, bin ich sehr pragmatisch. Aber in solchen Notsituationen...hmm, sie kommen zum Glück nicht so oft vor, aber wenn, dann bin ich eher panisch und steh im Weg.

    (Urinstinkt..komisches Wort. Man kann es so schön aufspalten. Urin stinkt!)

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    1. Also der Wortwitz mit dem Urinstinkt ist ja schon so alt ... dass den überhaupt noch einer zu reißen versucht...

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  3. Hm unterschiedlich. Bei Situationen die mir noch nie unter gekommen sind Starre und 'langes' grübeln, doch in bekannten Situationen, sagen wir mal beim Auto fahren, reagiere ich sofort. Bis jetzt auch immer richtig ;D.
    Hab als Kind Würstchen auf einem Schneidebrett auf den Herd gestellt um sie zu braten. Tja, später erfuhr ich, das sie sowieso schon schlecht gewesen wären *g*.

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  4. Reh im Scheinwerferlicht, eindeutig. Ich brauche meistens etwas Zeit, um zu realisieren, dass mir etwas gerade *wirklich* passiert.
    Allerdings war ich auch noch nie in einem einstürzenden Gebäude, also wer weiß? Vielleicht bin ich ja doch James Bond, wenn es wirklich darauf ankommt. :D

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  5. Ganz unterschiedlich, ehrlich gesagt.
    Und wenn ich so darüber nachdenke, kann ich nur hoffen, dass ungeplante Notsituationen möglichst fern von mir bleiben- man hat auch so schon genügend Steine im Schuh, da braucht man nicht noch ein Loch in der Sohle...

    Liebe Grüße und schlaf nachher gut...

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  6. also allgemein gesehen kann man ja für "das zittern" danach nichts - das ist eine körperliche nachwehe des vorherigen adrenalinschubs... würde ich jetzt einfach mal mutmaßen.
    was man nun macht, wenn auf einen geschossen wird - nunja, ist man ausgebildeter soldat, dann wirft man sich vermutlich auf den boden oder hinter das nächste, vermeintlich schutzbietende objekt, was man finden kann. als normalo? ich glaube ich würde zusammenzucken, mich evtl instinktiv kleinmachen und erst mal lokalisieren, woher der knall kam. andere situation: wenn unentwegt geballert wird und man gar keine chance hat, zu überlegen. ich glaube meine erste handlung wäre laufen: hauptsache weg! die chance durch die bewegung nicht erwischt zu werden ist ja vielleicht etwas höher, als einfach blöde dazustehen und abzuwarten. so würde ich das vermutlich im notfall sehen.

    ich glaube die handlung, die man vollführt rührt aus dem wissen. auch wenn wir es unterbewusst machen, versuchen wir auf den schock so schnell wie möglich wissen abzurufen, dass uns helfen könnte - in deinem fall löscht wasser feuer. für das grundschulalter empfinde ich also die handlung als komplett richtig! wenn man in eine situation gerät, mit der man gar nichts anfangen kann, dann vermute ich (zb beim menschen) ist der erste instinkt erstarren und der zweite (wenn man zb nur alleine "gefahr" erkennt) weglaufen.

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  7. Römisch-katholisch, das Klischee wäre also bedient. Ich mochte bisher eh nur einen Priester, nämlich unseren ehemaligen Religionslehrer: Er hat regelmäßig so "provokante" Predigten gehalten, dass es fast zur Revolte kam. Mochte ich irgendwie.

    Ich habe eine recht große Hand. Und eben einen recht großen Mund. Naja, Claudia Schiffer kann das wahrscheinlich auch - ein kleiner Trost!

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  8. Wenn man in einer Hilfsorganisation Mitglied ist, dann werden einem über die Zeit eine Mengen Verhaltensgrundsätzen eingebläut, die man internalisieren soll. In Situationen, wo man auf etwas reagieren muss, das man gelernt hat, kann man meist ziemlich ruhig und gelassen reagieren. Aber sobald ich in eine neue Situation kommt, brauche ich immer viel zu lange um angemessen zu reagieren. Vermutlich wäre es manchmal besser, einfach auf seine instinktive Reaktion zu hören.
    Das Thema ist übrigens sehr interessant und hat mich ziemlich zum nachdenken gebracht.

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