Donnerstag, 3. November 2016

Sitzplatz!

... so lautet zumindest bei mir die Standardaufforderung an Menschen, die mit dem wilden Hüpfen und Tanzen vor der Bühne bei Konzerten nicht zurecht kommen und sich beschweren, dass man bitte nicht während die Musik läuft sich zu sehr bewegen oder gar schubsen soll. Das wäre ja hier schließlich keine Veranstaltung zum Tanzen oder gar Spaß haben…
Ist man mental nicht Willens oder in der Lage, sich der Musik hin zu geben und mitzumachen, dann ist man in meinen Augen ein Fremdkörper in der Gruppe vor der Bühne und so ein klarer Fall für den Sitzplatz. Damit meine ich natürlich nicht in Opern oder klassischen Konzerte, für die ein Sitzplatz ausnahmsweise völlig in Ordnung ist.

Nach langen Monaten der Abstinenz was Konzerte angeht, habe ich heute endlich wieder eins besucht. Dieses mal war ein Punkt von vorn herein anders als gewohnt: ich wusste von Anfang an, dass ich einen Platz im Rang haben würde. Und das heißt konkret - Sitzplatz!

Oh je, Sitzplatz?! Das ist doch die inoffizielle Höchststrafe, wenn live Musik gespielt wird, die einem gefällt. Immerhin drängt dann jeder Muskel zuckend in mir, sich zur Musik zu bewegen und mitzuhüpfen, was auf der Freifläche vor der Bühne am besten funktioniert. Auf einem Sitzplatz gefangen zu sein, bedeutet dagegen, in der Bewegung eingeschränkt zu sein und nicht in die zur Musik wogende Menschenmenge eintauchen zu können.
Aber das waren ja nur meine Vorstellungen, die ich nie auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft hatte. Man sollte Dinge nicht beurteilen, bevor man sie ausprobiert hat und da ich eh keine Wahl hatte, begab ich mich schließlich zu meinem Sitzplatz.

Immerhin war es möglich, sich den Sitzplatz frei auszusuchen. Fluch und Segen zugleich, wie sich herausstellen sollte, denn die Sitzplätze der Balkone der Arena, in der das Konzert stattfand, waren zumindest in der ersten Reihe an der Brüstung schon sehr gut gefüllt und ich fürchtete kurz, nur noch ganz hinten etwas zu finden. Im eine Etage höher gelegenen nächsten Rang fand ich aber nach kurzer Suche noch einen Sitzplatz in der zweiten Reihe hinter der Brüstung. Phew, noch mal gut gelaufen.

Zu meiner Überraschung war der Blick auf die Bühne großartig. Ein komplett anderer Eindruck, als unten in der Menge zu stehen. Jetzt konnte ich die ganze Halle erfassen mit ihren zwei Reihen der Balkone voller Sitzplätze, den beleuchteten Notausgängen dazwischen sowie des Setups von Technik und Tontechnikern. Zum Beobachten war das die perfekte Position, so viel Übersicht über die gesamte Konzerthalle hatte ich noch nie. Sonst fokussiere ich mich immer allein auf das Bühnengeschehen, während all die Menschen hinter mir ausgeblendet werden.
Auch die Seitenzugänge zur Bühne lagen gut in meinem Sichtfeld, sodass ich die Wege des Sängers von der Bühne ins Publikum oder auch einmal um selbige herum gut beobachten konnte.

"Thank you for wasting your phone battery on me. What a nice compliment!" 
Als die aus einer Person bestehende Vorband dann auf die kam, hatte ich einen idealen Überblick darüber, erfasste aber direkt, warum Sitzplatz für mich seit Jahren eine Beleidigung war: man ist zwar anwesend aber nicht wirklich dabei.
Während die Menge vor der Bühne springend und schreiend sich in der Musik verliert und die Emotionen auslebt, ist man selbst in seinem Sitzplatz ordentlich nebeneinander platziert und somit gefangen. Klar, man kann aufstehen, die Arme hoch reißen, die gesamte Bühne überblickend jubeln und doch ist es ein sehr viel distanzierteres Erlebnis.
Niemand rammt einen im Rausch der Musik von hinten, niemand fängt einen danach auf. Kein Springen, bis die Waden schmerzen, kein nach vorn geschwemmt werden und den Drummer aus nächster Nähe dabei beobachten, wie ihm der Schweiß vom Gesicht tropft während man selbst merkt, wie einem der Schweiß den Rücken entlang läuft, weil man sich körperlich so verausgabt. Es ist schon ein herabgesetztes Konzerterlebnis, alle Eindrücke gefiltert durch physische Distanz und Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten.

Auch die Band interagiert vor allem mit dem Publikum vor der Bühne. Man fühlt sich ein bisschen ausgeschlossen auf den Rängen selbst wenn man die besten Bilder davon schießen kann, wie der Sänger sich beim Stagediving ins Publikum wirft. Schon seltsam, bei einem Konzert überhaupt das Handy zu zücken.

Besagte schöne Bilder sind zwar super, um sie auf Social Media Seiten zu posten oder seine Freunde zu beeindrucken, aber das eigentliche Konzerterlebnis gefällt mir persönlich vor der Bühne im Gedränge der Menge unendlich viel besser. Denn auf dem Sitzplatz kann man die Show perfekt ansehen und fotografieren, aber nur vor der Bühne ist man meiner Meinung nach live wirklich dabei.

4 Kommentare:

  1. Ha,ich bin so eine Seniorin, ich freue mich, wenn es Sitzplätze gibt.Aber das liegt wohl auch an meiner Tanz"phobie". :D Werde die nächsten Monate viele Konzerte besuchen, manche werden ohne Sitzplätze sein und manche mit, die gute Mitte. :)

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    1. Tanzphibie und Freude über Sitzplätze - was ist denn da los? Warst du nicht wilde Konzertgängerin? Wildes Metalmädchen in Schwarz, das seine alkoholischen Getränke in einem Kameraobjektähnlichen Flachmann mit in die Halle bringt?

      Erzähl mal, welche Konzerte im Raum Berlin du dir ansehen wirst. Vielleicht trifft man sich ja. ;)

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  2. such mich mal auf lastfm. da heiß ich Annihilatress. Da sind meine nächsten Konzerte gelistet.
    Und jaa auf Metalkonzerten tanzt man ja nicht wirklich. 8D

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    1. Guter Vorschlag! Hab dich gesucht, gefunden und direkt festgestellt, dass wir nächstes Jahr beide aufs System Of A Down Konzert gehen. So schnell kann es nach ein paar Jahren dann mal spontan zu einem Bloggertreffen kommen. Falls wir uns konkreter verabreden wollen natürlich nur. Ich wär' dabei!

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