Sonntag, 20. November 2011

Friedhofsgedanken

Hat jemand von euch daran gedacht, dass heute Totensonntag ist?
Ich auch nicht. Mein Vater aber, dessen Mutter vor noch nicht ganz zwei Jahren gestorben ist, dachte  daran. Und daher ging die ganze Familie zum Friedhof.
Das kam mir merkwürdig vor, altmodisch. Wahrscheinlich war es nur ungewohnt, denn heutzutage nimmt man sich fast keine Zeit mehr zu solchen Dingen.

Auf dem Friehof waren unerwartet viele Menschen. Die Annotation im Kalender scheint viele hergeführt zu haben. Dann stand man vor dem Grab, dachte an seine Erlebnisse mit der Verstorbenen. Und durch die direkte Konfrontation mit dem Verlust wurden auch Tränen vergossen.
Aber hätte man dazu zum Friedhof gehen müssen? Egal ob man am am Grab steht oder auf dem Sofa sitzt, während man an den Verstorbenen denkt - die Trauer ist doch die gleiche. Durch einen Friedhofsbesuch ändert sich nichts. Der geliebte Mensch ist trotzdem noch genauso tot.

Mein Opa geht ungern zum Friedhof, denn es erfüllt ihn stets mit großer Trauer. Das Grab richtet er dennoch immer liebevoll.
Eigentlich aber brauchen wir meiner Meinung nach keine Friedhöfe. Was nützt es dem Toten, dass er Blumen über sich hat? Gar nichts. Und so lässt sich auch feststellen, dass die Totenbräuche alle für die Hinterbliebenen geschaffen wurden. Denn wir müssen mit dem Verlust zurecht kommen. Ein Friedhof könnte die Anlaufstelle sein, an der man sich dem Verstorbenen besonders nahe fühlt. Aber dazu würde auch einfach ein persönlicher Gegenstand dessen ausreichen.

Warum müssen wir den unsere Toten auf einem Feld zusammenpferchen? Mir gefällt die Vorstellung, verbrannt und vom Wind auf einer Bergwiese oder über dem Meer verweht zu werden viel mehr. Dann würde ich meine Verwandten auch nicht mit der Grabpflege belasten. Denn die Erinnerung tragen sie im Herzen. Ein Grab dagegen hat allein einen Vorzeigecharakter. Damit die Dorfbewohner auch sehen, dass Familie XY trauert, da sie alle zwei Tage zum Grab pilgert. Wie vorbildlich; eine prachtvolle Vorzeigefamilie.
Vielleicht war es früher ein notwendiges Statussymbol, einen großen Marmorengel neben dem blattgoldbeschichteten Grabstein stehen zu haben, doch ich halte das für überholt, da es nicht notwendig ist. Ein Denkmal gegen das Vergessen ist ein Grab auch nur bedingt. Nach zwanzig Jahren Liegezeit wir Otto Normalbegrabener nämlich "entfernt", wenn die Verwandtschaft nicht für weitere Jahre den Platz bezahlt. Selbst wenn das Monument ewig bliebe - gemeinsame Erinnerungen werden dennoch nur diejenigen haben, die den Verstorbenen auch kannten und diese werden auch irgendwann sterben, sodass man zwei Mal stirbt: einmal körperlich und einmal in den Erinnerungen. Und doch bleibt immer etwas, selbst wenn es nicht mit der Person bewusst verbunden werden kann. Das habe ich kürzlich erst selbst beim Ausräumen eines Dachbodens bemerkt.

Auf dem Friedhof muss man still und bedrückt sein. Selbst wenn die Tannen über den Gräbern friedlich rauschen, der Frost zarte Muster auf die Wege zaubert, man dankbar an seine Zeit mit dem Verstorbenen zurückdenkt und weiß, dass er nun seinen Frieden hat, darf man nicht lächeln. Denn auf Friedhöfen hat man zu trauern.

Da gefällt mir die Situation in Mexiko doch besser. Die Gräber sind farbenfroh bemalt und nicht bedrückend in einheitlichem Grau. Man feiert sogar mit seinen toten Vorfahren am Tag der Toten, dem "Día de los muertos".
Es ist besser, den Tod nicht zu tabuisieren, ja zu ignorieren, sondern ihn als Teil des Lebens zu sehen. Es ist sozusagen die letzte Lebenserfahrung und am schmerzhaftesten für die, die nicht sterben.

Man sollte keine Angst vor dem Tod haben. Nur Angst, jemanden zu verlieren.

Apfelkern

2 Kommentare:

  1. Ich finde es schön, dass es Rituale gibt. Man muss sie ja nicht mögen oder teilen. Aber ein Teil der Kultur sind sie eben.

    Dein Schlusswort gefällt mir.

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  2. Wenn ich tot bin, möchte ich auch verbrannt und verstreut werden. *ein erstes Lächeln für Dich rüberschubs* :)

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