Sonntag, 17. März 2013

Nicht nur zweifeln, sondern leben

Wie gut seid ihr darin, Entscheidungen zu treffen? Ich würde die Frage nicht sofort beantworten können; vielleicht ist das schon das erste Zeichen dafür, dass die Antwort zur ersten Frage eher in Richtung nicht besonders gut tendiert.
Was die eigene Ausbildung und Bildung angeht, fiel es mir bisher leicht, Entscheidungen zu fällen. Mir war klar, auf welches Gymnasium ich nach der Grundschule wechseln wollte, ich wusste, in welchem Fach ich meine Facharbeit absolvieren, welchen Leistungskurs und welche Prüfungsfächer ich wählen würde. Es sind alles Entscheidungen, die ich im Nachhinein nicht als falsch einstufe.

Was mir verglichen damit unglaublich schwer fiel, war die Wahl des Studienfachs. Woher sollte ich als gerade aus dem Schulsystem geworfener Abiturient wissen, welche Profession mich ein Leben lang (bis dann wahrscheinlich Rente mit 76) glücklich machen würde?

Aus genau diesem Grund bewundere ich junge Menschen, die schon seit Jahren mit so absoluter Sicherheit zu wissen scheinen, welchen Beruf sie erlernen wollen. 
Mir war klar, dass ich nicht immer im Büro hocken will, nicht nur stumpf und ohne direkte Wirkung Zahlen schieben sondern etwas "nützliches" tun wollte. Da mich Naturwissenschaften schon lange interessierten, ich während eines kleinen Praktikums in der Pathologie bemerkte, dass ich mit Blut und Leichen kein Problem habe und ich in einem Pflegepraktikum feststellte, dass ich sogar mit lebenden Patienten zurecht komme, entschied ich mich für ein Medizinstudium.

Was soll ich sagen - es scheint eine gute Entscheidung gewesen zu sein. Die Großzahl der Vorlesungen, Seminare, Praktika und Untersuchungskurse fand ich sehr spannend. Weil mich die Medizin grundlegend fasziniert. Dass die Semesterferien nahezu komplett für Pflegepraktika und Famulaturen draufgehen, der Lernaufwand ziemlich enorm ist, macht es nicht unbedingt zu dem entspanntestem Studium, das man hätte wählen können, aber ich bin dennoch zufrieden damit.
Gerade habe ich die Nachricht bekommen, dass ich die Prüfungen zum Abschluss des ersten Semesters auch allesamt bestanden habe und damit - Level up! - kein Ersti mehr bin. 

Scheint alles gut zu laufen. Das zweite Pflegepraktikum ist gerade an seiner Halbzeit angekommen - es geht voran. Und dann kommen die Dinge, die diesen schönen Plan wieder ins Schwanken bringen. Stichwort Handdesinfektion.

Bisher schmierte ich mir nahezu fröhlich Sterilium auf die Hände zur Desinfektion. In dem Krankenhaus, in dem ich aktuell mein Pflegepraktikum absolviere wird statt Sterilium Desderman pure, Desmanol N und ein "sensiva" Desinfektionsmittel des gleichen Herstellers genutzt. Von mir aus - Allergien habe ich ja schließlich nicht. 
Oder vielleicht sollte ich treffender formulieren, dass keine bekannten Allergien vorliegen. Ob es eine Kombination der Mittel oder ein einziges davon ist - ich bekomme davon einen Ausschlag an den Händen, sie werden sehr trocken. Na super.

Durch ein wenig Herumprobieren, das ausschließliche Benutzen eines der Produkte, fand ich heraus, dass ich Desderman pure vertrage, den Rest aber nicht unbedingt. Allergisch auf das sensitiv Mittelchen - das nenne ich mal einen miesen Witz.
Vielleicht brennt auch einfach alles davon, weil meine Hände hübsch trocken und partiell die Haut sogar eingerissen ist. Schorf zwischen den Fingern wie ein Bauarbeiter… insofern Bauarbeiter das überhaupt haben.
Beautyblogger kann ich mit den Händen jedenfalls nicht mehr werden.

Gott sei Dank habe ich mein kleines Fläschchen Sterilium für die Kitteltasche und benutze eben das, wenn in dem Patientenzimmer mal wieder nur die zwei Desinfektionsmittel hängen, die meine Hände wegätzen. Denn Desinfektionsmittel einfach zu meiden kommt nicht infrage - es wäre eine Gefährdung für die Patienten und mich.
Herauszufinden, dass ich anscheinend einige Desinfektionsmittel nicht vertrage, machte mir irgendwie Angst. Gerade erst angefangen und schon die ersten Unverträglichkeiten? Wie soll ich denn mit dem Vorschaden mir bis zur Rente täglich Desinfektionsmittel auf die Pfoten schmieren?!
Immerhin gibt es Mittel, die ich benutzen kann. Also ganz ruhig.

Und wie das Leben so ist kam gleich das nächste Ereignis, dass verunsicherte.
Ich unterstütze zum ersten Mal einen der Stationsärzte bei einer Lumbalpunktion, hielt den Patienten, reichte ihm die Utensilien. Ein normaler Tag, ich fühlte mich gut.
Die lange Punktionsnadel wurde in den Rücken gestochen; ich konnte mir gut vorstellen, wie sie sich zwischen die Wirbel schob. Kein Blut zu sehen.
Mir wurde heiß und dann einfach nur kalt. Kalter Schweiß, Schwindel Gefühl. Ich hielt mich eher am Patienten fest als ihn zu halten. Das Gefühl, das Frühstück gleich wieder begrüßen zu können, schwarz vor Augen.

Statt etwas zu sagen blieb ich einfach stehen. Ja ja, immer schön sagen, wenn einem schlecht wird statt still und heimlich umzukippen. 
Es war eine Schwäche, die ich mir nicht eingestehen wollte. In der Pathologie Lebern wiegen und Bauchwasser mit der Kelle ausschöpfen aber wegen einer Nadel im Rücken umkippen? Ich verstand nicht, was mich so aus der Bahn warf.
Die Zeit verging unendlich langsam; der Arzt wartete bis seine 30ml Liquor in das Röhrchen getropft waren. Pflaster, aufräumen, Verbandswagen aus dem Zimmer schaffen. Wasser trinken, setzen. Es ging mir körperlich schnell besser aber die Sorge, dass ich das Studium wechseln muss, weil ich doch nicht mit Eingriffen am Menschen zurecht kommt, blieb.
Nach drei weiteren Lumbalpunktionen, bei denen ich half und einer OP am Gehirn, die ich mir gestern ansehen durfte, kann ich sagen, dass es ein Kreislaufproblem gewesen sein muss. Unglaubliche Erleichterung. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie froh ich bin, dass es nur ein Kreislaufproblem gewesen sein muss. Das Gefühl, nicht den Beruf ergreifen zu können, für den man sich entscheiden will, ist absolut mies und nagt an der Substanz. Man hätte die Zeit verschwendet, die man mit der Ausbildung bisher verbracht hat. Man hätte es doch früher wissen können - bevor man gegen die Wand läuft und feststellt, dass alles vergebens war.

Ich hatte Glück und die Sorgen waren unbegründet. Bin ich vielleicht glücklich, anscheinend keine komplett falsche Entscheidung getroffen zu haben. Angst vor dem Versagen, vor dem Scheitern trifft tief.
Ob ich mit diesen Entscheidungen glücklich werde, ist eine Frage, die sich nicht sofort beantworten lässt. Man kann im Leben so viel falsch machen ohne es zu direkt zu bemerken und gleichzeitig so viel richtig machen und das erst nach Jahren erkennen.

An eigenen Entscheidungen zu zweifeln ist erlaubt. Zweifel gehören zum Leben. Aber man muss es damit nicht übertreiben. Nicht jeder Kratzer ist tödlich und von einem schlechten Tag bricht die Welt nicht zusammen. Frei nach dem Motto: nicht nur zweifeln, sondern leben.

Apfelkern

7 Kommentare:

  1. ... und erst wenn man älter wird, wird einem klar dass einen alles weiterbringt was man an sich entdeckt, stärken aber auch gerade schwächen.

    es kann einem ja auch nach jahren im beruf passieren dass man irgendwas nich "verträgt" sei es körperlich oder im kopf.
    aber es gibt fast für alles eine lösung.

    ich bewundere dich für den anspruchsvollen weg den du eingeschlagen hast :)
    lg

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  2. Du sprichst mir aus der Seele! Ich hab mit 18 echt die beneidet, die seit 2 oder mehr Jahren wussten was sie studieren oder arbeiten wollen und ich selbst, wusste nicht einmal eine ungefähre Richtung.
    Bei jeder Idee kamen mir Gedanken wie dir bei der Lumbalpunktion: Was wenn ich das nicht kann oder ertrage oder nach 6 Semestern merke, dass mich das alles anödet und ich lieber Floristin werde?
    Ganz weg sind solche Gedanken auch jetzt nicht.

    Ich bin froh, dass du für dich weißt, dass es weitergeht. :)

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    1. Es wäre interessant, in ein paar Jahren - vielleicht wenn du mit deinem Studium fertig bist - eine Reflektion zu lesen, ob du mit der Entscheidung zufrieden bist. Letztendlich kann man das aber auch wohl erst am Ende des Berufslebens beurteilen. Kompliziert dieses Leben…

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    2. Mir geht da dieser eine Fernsehbericht nicht aus dem Kopf wo sie Luete gezeigt haben: hochrangige Manager, Doktoren, die dann ab ende 50, Anfang 60, alles hingeschmissen haben und Berufe wie Brummifahrer ergriffen.
      Zumindest hat mich das beruhigt. Auch mit einer erfolgreichen Kariere kann man sich letztlich doch zu etwas anderem berufen fühlen.

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  3. Na aber hallo, du machst doch das beste daraus. Das mit dem Desinfektionsmittel ist allerdings äußerst ärgerlich.
    Und an vielen muss man sich in der Medizin ja noch gewöhnen. Und dass du deine Prüfungen alle beim ersten Mal bestanden hast, ist auch sehr löblich.

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    1. Tja, ich werde mit meinem Desinfektionsmittel-Handicap weiterleben müssen.
      Zu den Prüfungen bleibt nur eins zu sagen: Danke für das Lob, Frau T. :)

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  4. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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