Sonntag, 31. Juli 2011

Gestern Abend in der Bahn

Samstags um halb zehn fährt die S-Bahn durch den Regen aus Berlin heraus. Recht leer ist es und das Licht ist gedämpft. Die Passagiere sind fast ausnahmslos auf dem Weg nach Hause. Ein älteres Pärchen sitzt mit ihrem kleinen Enkel am Fenster.
Der Junge könnte etwa fünf Jahre alt sein. Er ist ein aufgewecktes Kerlchen in orangem Pullover und einer niedlichen dunkelblauen Brille mit runden Gläsern.
Stolz zitiert er die kommenden Bahnhöfe. "Heinerdorf! Brankenburg! Karow!"
Lachend schütteln die Großeltern den Kopf und belehren, dass es Heinersdorf heißen müsste und Blankenburg richtig wäre. Der Kleine hat die Nase voll.
"Nee, Mama sagt immer Brankenburg." Ohne auf die Reaktion der Großeltern zu warten springt er auf und läuft zur zentralen Haltestange zwischen den Türen. Angestrengt versucht er daran hochzuklettern. Seinen Großeltern ist das ziemlich unangenehm.
"Malte, das macht man doch nicht!"
"Doch, ich schon!" Unbeeindruckt versucht er sich an der Stange hochzuziehen, rutscht aber immer wieder ab.

Mittlerweile beobachten alle Passagiere in diesem Wagon mehr oder weniger unauffällig den Jungen. Den Großeltern ist das sichtlich peinlich.
"Nun komm doch wieder her, Malte!" flüstert die Großmutter drängend. Dieses Mal folgt Malte und hüpft auf ihren Schoß, die Beine legt er auf die Knie des Großvaters. Er grinst zufrieden und beginnt, gegen das Fenster zu trommeln.
"Das ist ein Walzertakt! Mutti kann dazu tanzen."

Ein beeindrucketes Schmunzeln schleicht sich in das Gesicht der meisten Fahrgäste. Ziemlich clever, der Kleine. Allerdings bewegt das seine Oma wenig. Stattdessen weist sie ihn an, das nervige Klopfen endlich sein zu lassen. Prompt springt er auf und läuft zu einem weiter entfernten Fenster, um dort weiter den 3/4 Takt zu klopfen.
"Ihr seid nur neidisch." Kindermund tut Wahrheit kund ist schrecklich abgedroschen und doch wahr. Allerdings sind die Erwachsen weniger neidisch auf sein Rhythmusgefühl sondern darüber, dass er sich öffentlich so ausleben darf. Hätten sie sich exakt so wie er verhalten, wären sie mehr als nur schief angesehen worden. Malte dagegen fand man niedlich und aufgeweckt.

Schließlich stiegen die drei aus. Als er über den Spalt zwischen der Bahn und dem Bahnsteig hüpfte hörte man ihn laut rufen "Das kann ja noch heiter werden mit euch!".

3 Kommentare:

  1. Ich denke mir zwar auch immer, dass es schön wäre, sich so auszutoben, wenn ich solche Szenarien beobachte, aber dieser Junge klingt ganz nach einem Exemplar, das ich hassen würde. Insbesondere in der Bahn :D

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  2. schöner text. die meisten menschen verlieren diese fähigkeit, wenn sie 'erwachsen werden'.

    manche wenige können sich das bewahren, und das macht die besonderen aus. :)

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