Als ich kürzlich Ostereier mit der sorbischen Wachstechnik verzierte, kommentierte meine Oma, dass dies Kunst sei. Ich freute mich über dieses Kompliment, Kunst ist schließlich etwas positives. Kurz darauf wunderte ich mich, warum eigentlich noch nie jemand mein Back- und Kochwerk oder ein Paar handgestrickte Socken als Kunst gelobt hat. Ist das denn keine Kunst?
Diese Frage habe ich mir schon häufig gestellt, kam aber nie zu einer Antwort, die ich als ausreichend empfand. Denn Kunst ist vielfältig und facettenreich. Kunst ist undefinierbar und doch sagen wir explizit, etwas wäre Kunst und anderes nicht. Was denn nun? Heißt es nicht, alles wäre Kunst?
Ich habe aber noch nie gehört, dass jemand gesagt hätte, es wäre Kunst, wie die Rohre im Bad verlegt sind. Rohre und Leitungen zu verlegen, Auffahrten zu pflastern und Personen von A nach B zu befördern ist nützlich.
Ist Kunst also alles, was keinen Nutzen hat?
Das würde natürlich erklären, dass Stricksocken und Kuchen keine Kunst sind, Ostereier dagegen schon. Das Bild an der Wand ist hübsch, nicht nützlich. Die Statue ist ein hübscher Staubfänger, doch ein Hundertwasserhaus mit seiner außergewöhnlichen Architektur erfüllt einen Nutzen und ist Kunst. Es fällt auf: alle hier als Kunst bezeichneten Dinge sind individuell. Für den Kuchen und die Socken dagegen gibt es explizite Anleitungen mit denen theoretisch jeder das gleiche Werk schaffen könnte.
Ist Kunst ist also alles individuelle, was unnachahmbar ist?
Ein Gedanke an Plagiate lässt diesen Definitionsversuch als falsch dastehen. Selbst die Fälschungen der Mona Lisa sind in meinen Augen noch Kunst, die man nur nicht unter dem Originaltitel zu verkaufen versuchen sollte. Trotzdem redet man über die Fälschungen negativ statt sie objektiv als Kunstwerk zu bewundern.
Ist Kunst alles, was so zuvor noch niemand geschaffen hat?
Innovationen werden oft als Kunst betrachtet, denn natürlich ist es schwerer, sich etwas neues einfallen zu lassen, statt nur nach bisher existierenden Techniken zu arbeiten. Das Rad wird aber auch nicht täglich neu erfunden und Objekte, die mit traditionell überlieferten Techniken gefertigt werden, sind schließlich auch Kunst.
Ist also Kunst die Fähigkeit, etwas herstellen zu können, das nicht jeder könnten?
Klöppeln ist Kunst, da diese Fähigkeit kaum verbreitet ist, Stricken dagegen ist Mainstream und dementsprechend keine Kunst. Na ja.
Wenige könnten heute ein Fass bauen oder ein Schwert schmieden, als Kunst würde man dieses Handwerk aber auch nur bedingt bezeichnen. Aber Klöppelspitze ist ja auch deutlich hübscher anzusehen als ein Fass.
Daher: Kunst ist alles, was schön ist.
Aber mal ehrlich: würden wir all die Kunstwerke, die wir in unserem Leben in Museen und Galerien gesehen haben als "schön" bezeichnen? Nein. Die Einteilung in schön und unschön erfolgt subjektiv, doch ist denn der konservierte, langsam ausbleichende und zerfransende Hai im Becken mit dem Titel The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living von Damien Hirst ein schönes Objekt? Oder jene Werke von Otto Dix, die das Grauen des Krieges darstellen? Ich wage es, das zu verneinen. Das Objekt regt vielleicht zum Nachdenken an, ins Wohnzimmer würde ich es mir nicht stellen wollen.
Ist dann alles Kunst, was der Mensch schafft?
Nein. Diese Dinge sind zwar alle künstlich in dem Sinne, dass sie nicht natürlich vorkommen, doch würde ich sie nicht als Kunst ansehen. Außerdem erscheint die Natur manchmal auch zu schön, um zufällig so auszusehen. Die ineinander verschlungenen Bäumen auf einer Klippe betrachtend kann man nicht glauben, dass niemand den Bäumen absichtlich diese Form gegeben hat.
Hat jemand bemerkt, dass ich gerade Kunst danach definiert habe, dass alles schöne dazu gehört? Und so lande ich in Gedankenschleifen, die um eine klare Abgrenzung des Begriffes ringen und doch daran scheitern.
Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, was er als Kunst ansieht. Für mich sind die Werke Kunst, die etwas besonderes sind. Dinge, die nicht jeder produzieren kann. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass nicht jeder ein Künstler sein kann, doch es heißt, dass nicht jeder jede Art von Kunst schaffen kann. Er kann die Dinge schaffen, doch vielleicht nicht so, dass sie die entsprechende Qualität erreichen, um Kunst zu sein.
Kunst ist für mich komplex. Drei bunte Farbspritzer auf einer Leinwand mögen nett anzusehen sein, doch ich betrachte das nicht als Kunst. Ähnlich ergeht es mir mit zu linearen, geometrischen Werken, die den Betrachter denken lassen, dass man das mit einem Lineal und ein wenig Farbe exakt so nachmachen könnte, ohne dafür üben zu müssen.
Kunst darf alles und doch ist ein leeres Blatt keine Kunst.
Kunst muss nicht schön sein; spricht sie nicht das Ästhetikempfinden an, sollte sie zumindest zum Nachdenken anregen. Experimentales sehe ich nur bedingt als Kunst. Jeder kann Bücher aufstapeln, sie dann umstoßen und das Resultat Kunstwerk nennen. Durch die Willkürlichkeit und die fehlende Kunstfertigkeit ist es meiner Meinung nach keine Kunst, sondern einfach eine zufällige Anordnung wie herabgefallenes Laub es ist. Ein Bild der zufälligen Anordnung zu machen wäre dagegen wieder Kunst, da man sich dabei um einen speziellen Blickwinkel oder eine anschließende Bearbeitung bemühen würde.
Kunst ist nach meinem Definitionsversuch etwas, das mit Leidenschaft geschaffen wurde. Ein lieblos zusammengeknülltes Papier, das man auf eine blaue Pappe klebt ist für mich keine Kunst. In der Kunst sollte etwas von der Persönlichkeit des Künstlers zu erkennen sein.
Abläufe, die in Rezepten und Anleitungen festgehalten werden können, sind insofern Kunst für mich, wenn sie nicht alltäglich werden. Mein geliebtes Shortbreadrezept ist keine Anleitung zur Kunst auch wenn die Kekse jedes Mal grandios werden, denn sie sind Teil des Alltags.
Nicht nur Malerei, Grafik, Architektur, Plastik und Musik können Kunst sein - auch Texte, Lebensweisen oder Tanz und Bewegung zählen für mich dazu, denn letztlich ist für mich
Kunst die Fähigkeit, das Besondere im Alltäglichen zu sehen und es für andere sichtbar zu machen - egal auf welche Weise.
Apfelkern
Hach, was für ein wunderbar gelungener Text! Mir persönlich fällt es auch sehr schwer, Kunst zu definieren, ich habe mich mal mit einem Berufskünstler darüber unterhalten und bis dato war ich eher auf gemalte Bilder als Kunst fixiert. Als er mir dann aber erklärte, dass man im Mittelalter das Malen als Handwerk und das Bauen als Kunst bezeichnete, warf das alle meine schön geordneten Gedanken total durcheinander... Zu einer allgemeinen Definition wird man niemals kommen aber dennoch gefällt mir dein Versuch der Erörtung gut. :)
AntwortenLöschenLiebe Grüße, Josi