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Sonntag, 4. März 2012

Fremdkörpergefühle

Der Rücken an die Badewanne gelehnt, den Laptop auf den zum Schneidersitz gefalteten Beinen sitze ich da. Mein Haar riecht unangenehm nach Rauch und erinnert mich an die letzten Stunden. Ein Grinsen schleicht sich in mein Gesicht.

Ich war bei einem Konzert. Ich war gemeinsam mit meinen Eltern bei einem Konzert und das ziemlich spontan. Ein Freund der Familie, der Mitglied einer Band ist, hatte uns dazu eingeladen. Wir kamen um kurz vor neun Uhr in dem kleinen Club an, in dem wir noch nie gewesen waren. Der erste Eindruck war der beißende Geruch aus der Raucher Lounge, dann sah ich die Anwesenden genauer an: der ungefähre Altersdurchschnitt lag deutlich über vierzig. Nicht weiter erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die auftretende Gruppe NDW Titel covert und ihnen dabei aber einen metallischeren Klang verleiht. Allerdings interpretieren sie auch rockigere, härtere Musik wie die von Rammstein, In Extremo, Oomph! oder die der Ärzte, was mich letztendlich auch dazu gebracht hat, mitzukommen.

Fünf nach neun stehen alle um die Bühne versammelt, die über vierzigjährigen Frauen, die alle meine Mutter hätten sein können, schunkelten zu der Musik vom Band, ihre Männer stehen mit ihrem Bier in der Hand einen gewissen Sicherheitsabstand einhaltend und betrachten das Treiben. Auf der Bühne geben sich wenig später Schlagzeuger, zwei Typen mit gitarrenähnlich aussehenden Instrumenten (ähmm ... Bassgitarre?) und der Sänger mit elektrischer Gitarre alle Mühe, die Stimmung anzuheizen. Eingängige Gitarrenriffe, Schlagzeugsolo, alles zusammen - perfekt um Herumzuspringen und das Haar zu schütteln. Genau das mache ich auch, ignorierend, dass sie nun vom Goldenen Reiter singen und ernte dafür verwirrte Blicke von der Seite. Um nicht aufzufallen hätte ich maximal ein wenig hin und her wippen sowie die Arme in typischen  rudernden Bewegungen schwingen dürfen, so wie es die anderen tanzenden Menschen praktizieren.

Meine Eltern tanzen auch so. So, dass ich sofort merkte, dass sie einer anderen Generation angehören. Es wirkt gestellt, wie sie alle synchron zum Bruttosozialprodukt klatschen und doch weiß ich, dass es natürlich zustande kam. Gelegentlich erklingen neuere Stücke; selbst zu Rammsteins Sonne springe ich nur gehemmt mit. Schließlich will ich ja nicht den hinter mir stehenden Eltern auf die Füße treten und unnötig auffallen muss ich nun auch nicht.

Wie war das mit der generationsübergreifenden Musik? Begeistert sind alle im Raum (zumindest bei den moderneren Titeln), aber die Umsetzung dieser Freude an der Musik ist völlig verschieden. Außerdem fühle ich mich beobachtet.
Sieh mal Heinz, die junge Frau da ruiniert doch den ganzen Altersdurschnitt hier!

Die Musik verlor in Laufe des zweistündigen Konzerts ihren NDW-Titel Gehalt und wurde zumindest aus meiner Sicht deutlich besser. Die Truppe spielte gut, sprang umher, hatte einen durchaus als Rampemsau zu bezeichnenden Sänger, was positiv ist, die Männer ließen teilweise später auch die Oberteile fallen, doch ein gewisses  Unwohlsein blieb zurück. Anders als sonst bei Konzerten konnte ich mich nicht völlig von der Musik mitreißen lassen. Meine Eltern beobachten mich von hinten - egal, sie haben mich auch schon zu Hause zu Musik von Knorkator durchs Wohnzimmer springen sehen. Aber die Blicke der anderen Gäste stören mich als Menschen, der keine Aufmerksamkeit der Masse sondern lieber nur einiger weniger Personen auf sich ruhen weiß.
Ob sie sich von mir auch gestört fühlen?

Ich stellte mir die Frage, ob es eine generationenübergreifende Begeisterung für bestimmte Dinge geben kann.  Es gibt sie, vermute ich, doch die Begeisterung äußert sich nur selten in allen Altersgruppen auf gleiche Weise. Viele lieben die Bücher über Harry Potter, doch während sich die jüngeren Fans als Zauberer verkleiden, die etwas älteren in Harry Potter Konsolenpielen gegen Dementoren kämpfen, bevorzugen noch ältere Personen oft die reine Lektüre.

Bei anderen Konzerten mit sehr gemischtem Publikum habe ich noch nie so sehr das Gefühl gehabt, ein Fremdkörper zu sein. Vielleicht lag es daran, dass die Anteile der jeweiligen Mischung ausgeglichener waren. Möglicherweise auch daran, dass die Hallen sonst so voll waren, dass man im Pulk gar keine Zeit zur Betrachtung der anderen hatte.
Ich gab mir Mühe, mich allein auf die Musik zu konzentrieren und den widerlichen Zigarettengeruch sowie das restliche Publikum auszublenden um den restlichen Abend noch genießen zu können. Bis auf die Sache mit dem Rauch gelang das.

Ähnlich fehlplatziert hatte ich mich bisher nur bei einer Party, zu der ich die Tickets im Radio gewonnen hatte, gefühlt und auch da hatte es mit dem durchschnittlichen Alters des Publikums zu tun. Sie sollen mir nicht das Gefühl vermitteln, unter Aufsicht zu sein, sondern Teil einer angenehmen Kulisse sein und eventuell mit mir in Kontakt treten.

Schön war der Abend, todmüde zu Hause dachte ich aber nur eines: Immerhin war ich nicht bei der Schlagernacht in einer benachbarten Halle gewesen.

Apfelkern

3 Kommentare:

  1. Die einzige wirklich generationenübergreifende Musik, die ich kenne ist Jazz/Blues. Die Alterspanne in einer Blues/Jazzband kann schon einmal gut 50 Jahre und mehr betragen und genauso sieht es auch beim Publikum aus. Natürlich geht es bei dieser Musik allgemein etwas ruhiger zu als bei Rammstein etc. Und da Bluesbands häufig regional sind komme ich auch ab und an in den Genuss ihrer Musik und finde es ziemlich angenehm, wenn wirklich fast alle Altergruppen vertreten sind und sich auch mischen, sodass man mit Personen in Konakt kommt, die man sonst niemals getroffen hätte.
    Viele Grüße, Pearl

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  2. Das nächste Mal erinner ich dich persönlich daran!

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  3. Ich komme mir heute auf sehr vielen Konzerten wie ein Alien vor. Bezeichnend war u.a. in den letzten Jahren das dankbare Lächeln Sandro Giampiedros, als er mich in der zweiten Sitzreihe des Helge Schneider Konzertes gelassen swingen sah. Es war an diesem Abend längst nicht jeder der Musik so zugetan. Gerade bei Helge sind die Erwartungen des Publikums oft absonderlich.

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