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Freitag, 9. März 2012

Verswerk

Mögt ihr Gedichte?

In der Kürze kann so viel verborgen werden, ein paar Zeilen, in die man ganze Geschichten hinein interpretieren kann. Prächtige Metaphern, kunstvolle Sprache, intensive Beschreibungen sind es, die ich an der Lyrik so schätze.

Allein Gedichte mit zu offensichtlichem Inhalt und zu nüchterner Sprache mag ich weniger. Gern grüble ich über den Inhalt von Gedichten, lese sie wieder und wieder, um die Gedanken des Autors zu erfassen um mich schließlich zu fragen, ob ich nicht einfach zu viel hineininterpretiere.

Nur einen Aspekt kann ich nicht leiden: Gedichte aufsagen zu müssen.
Es ist etwas sehr intimes für mich, ein Gedicht zu rezitieren. Schließlich besteht es aus den innersten Gedanken einer fremden Person und es ist schon sehr freizügig, dass diese ihre Gedanken überhaupt teilt. Da möchte man diese doch nicht laut äußern.
Nun soll ich aber eine Betonung dieser privaten Gedanken festlegen, sie repräsentieren.
Ich denke mir dabei stets, dass ich das Gedicht stark verfälsche. Vielleicht hat sich der Autor etwas ganz anderes beim Schreiben vorgestellt als das, was ich gerade wiedergebe.

Während man ein Gedicht laut spricht oder es sogar auswendig lernt, beschäftigt man sich intensiv mit diesem. Es erschließen sich einem vielleicht ganz neue Inhalte und dessen Sinn verändert sich im Zuge der eigenen Strukturierung der Verse und Strophen.
Dieser Erkenntnisprozess ist wichtig und doch würde man den für sich selbst erkannten Sinn anderen ungewollt aufdrängen, wenn man ihnen das Gedicht in der für sich selbst gefundenen Betonung wiedergibt. Man minimiert den Wert des Gedichtes für den anderen. Jedenfalls höre ich ungern Gedichte, die ich noch nicht ruhig lesen und für mich analysieren konnte.

Allein der Autor kann nach meiner Auffassung dem Werk die "richtige" Betonung geben, andererseits liegt der Reiz der Verse auch gerade in den unterschiedlichen Betonungen.
Wenn man es schließlich wagt, eine konkrete Betonung für die Verse zu bestimmen, sollte es wenigstens freiwillig geschehen, doch der Zwang zum Aufsagen vor der Klasse im Unterricht nimmt meiner Meinung nach den Gedichten ihren Zauber.
Nicht nur das: es ist bloßstellend. So empfand ich es zumindest am Mittwoch.

Seit ich in der achten oder neunten Klasse beim Aufsagen des Handschuhs vor Nervosität eine ganze Strophe ausließ, habe ich mich erfolgreich um das auswendige Präsentieren von Lyrik gedrückt. Weil ich fürchtete, dass mir wieder so ein Fehler unterlaufen würde. Die Abneigung gegen das allgemeine Rezitieren und die schlechte Erfahrung mit selbigen warenjahrelang ein gutes Team.

Es klappte am Mittwoch gut. Zwar war ich ordentlich aufgeregt und verdrehte sogar eine Zeile, korrigierte mich jedoch selbst und das meiner Meinung nach wichtigste; die Betonung; konnte ich so überbringen, wie es geplant war.
Es war dennoch bloßstellend, eine so intime Sache wie ein Gedicht vor dem kompletten Deutschkurs darzubieten. Die Hemmung, es zu tun ist zwar überwunden, doch das öffentliche Rezitieren von Gedichten ist mir noch immer suspekt,

Ich frage mich, ob es den jeweiligen Autoren unangenehm ist, andere so sehr in ihre persönlichsten Gedankenwelt einzuweihen. Sie teilen sie freiwillig und doch ist sicher eine gewisse Aufregung dabei, wie die Leser über das Gedicht und den Autor urteilen.

Selbst meine eigenen Gedichte teile ich aus diesem Grund ungern. Vielleicht will ich nur verhindern, dass man meinem Gefühlsleben zu nah kommt. Warum auch immer.Oder ich möchte nicht, dass jemand mein Werk besser versteht als ich selbst es mache.

Gruß,

Apfelkern

7 Kommentare:

  1. Ich habe es gehasst, irgendwelche Dinge vortragen zu müssen. Ob Gedichte, Gebete, Referate oder sonstiges. Ich habe es einfach gehasst im Mittelpunkt zu stehen... Furchtbar!

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    1. Mir gehts genau anders! Ich liebe es vorzulesen, vorrausgesetzt ich kenne den Text/das Gedicht vorher!

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  2. Ganz ehrlich, ich kann zahlreiche Gedichte auswendig rezitieren, da ich als Jugendliche die Gedichte von Goethe, Puschkin, Lessing und Co. immer und immer wieder verschlungen habe...Ich bin sogar so gestört und baue Gedichte in naturwissenschaftliche Vorträge ein, was erstaunlicher Weise bisher immer sehr gut ankam ;)

    Nur eigene Gedichte kann ich nicht auswendig, zum einen weil ich nie auf die Idee käme, sie vor anderen zu rezitieren und zum anderen, weil es für eine gewisse Selbstverliebtheit spräche, finde ich...

    Liebe Grüße :)

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  3. Nun interessiert mich: Welches Gedicht musstest du vortragen?
    Und wieso müsst ihr überhaupt noch Gedichte vortragen? D: Wie ich froh bin aus der Schule raus zu sein.

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    1. Es sanden mehrere zur Auswahl, wobei ich mich gegen klassische Liebesgedichte und Angstgedichte für "Vita" von Kerstin Hensel entschied. Hier nachzulesen:
      http://www2.dickinson.edu/glossen/heft15/mabee.html


      Warum wir Gedichte vortragen müssen? Ich nehme an, es steht im Lehrplan.

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  4. Gedichte (und früher im Musikunterricht auch Lieder) auswendig zu lernen und vortragen zu müssen war für mich immer ein Zwang. Nie habe ich dadurch etwas Schönes oder einen Mehrwert erfahren. Ich kann mich vorbereiten und habe z.B. auch gern in Bühnenstücken mitgewirkt, in denen man logischerweise seinen Text können muß. Da konnte ich mich dann emotional in ein Spiel einbringen. Gedichte rezitierte ich hingegen immer rein mechanisch, weil ich nicht verstanden habe, wofür man etwas auswendig können muß, was auf dem Papier verfügbar ist.
    Sicher habe ich heute einen anderen Zugang zu Gedichten, jedoch sehe ich Reimschemata außerhalb der Musik oftmals als hinderlich. Aber verneige ich mich vor besonders eindrucksvollen Sprachmelodien einzelnder Zeilen von "Sie ritten um die Wette mit dem Steppenwind" bis "Gott hat einen harten linken Haken". Vielleicht mag ich das Hinweisschild "Lyrik" weniger als Sprache im Allgemeinen.

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  5. "Mögt ihr Gedichte?"
    Gute Frage. Ich weiß es nicht. Die einzigen wirklichen Berührungspunkte, die ich mit Gedichten bisher hatte, waren im Deutschunterricht in der Schule. Und leider bin ich ein Mensch, der auf aufgezwungenes Lernen mit geistiger Verweigerung reagiert. Daher habe ich mich nie wirklich mit Interesse mit den vorgelegten Werken auseinandergesetzt. Mit einer Ausnahme.
    Auch das auswendig lernen war für mich nur eine monotone Fleißarbeit, die keine gedankliche Auseinandersetzung beinhaltete. Das Vortragen hat mich daher auch nie berührt. Es sei denn, ich hatte wie üblich meine Hausaufgaben nicht gemacht und musste das Gedicht schnell vom Zuhören von den Leuten lernen, die es vor mir aufsagen mussten. Dann machte sich manchmal Nervosität breit.
    Die erwähnte Ausnahme ist "Prometheus" von Goethe. Als es mir in einer Klausur zur Interpretation vorgelegt wurde, habe ich mich ernsthaft damit befasst und festgestellt, dass es mir gefällt. Ich habe es auch mal halbfreiwillig auswendig gelernt. Wir mussten uns eines der im Unterricht behandelten Gedichte von Goethe aussuchen, um es vorzutragen. Da mir das Werk gefiel, hat es durchaus Spaß gemacht.
    Da ich ein Freund von Worten bin, sollte ich mich vielleicht mal mit Gedichten befassen.

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