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Freitag, 16. März 2012

Analyse bedeutet Selbstanalyse

Im Leben analysieren wir eine Menge: unsere Mitmenschen hinsichtlich Optik, Sprache, Verhalten und Meinung, Texte, Musik, Bilder und vieles mehr.
Für gewöhnlich analysieren wir Dinge, die wir nicht selbst geschaffen haben beziehungsweise Aspekte, die nicht uns selbst betreffen. So kann man auch wild darauf los spekulieren, denn man weiß ja nie, was exakt Goethe sich dachte, als er ein paar Zeilen notierte. Richtig begründet wird fast alles als korrekt akzeptiert.
Was ist aber mit eigenen Werken? Immerhin weiß man ja bereits, was man damit ausdrücken will und was man bei deren Schaffung dachte. Soll man jetzt weitere Aspekte hinzudichten?

Genau vor diesem Problem stehe ich jetzt: ich soll ein selbstgemaltes Landschaftsbild analysieren.



Was bitte soll ich dazu sagen?
Ähm, das Motiv ist hübsch. Und da bin ich gewesen. Ach, ich habe es auch genommen, weil ich dachte, dass ich  es ganz gut umsetzen könnte. Außerdem las ich gerade den Roman Dracula, während wir ein Motiv auswählen sollten und darin kommt der Ort Whitby, in dem die Ruine steht vor.
Und sonst - na ja, ich wollte die Ruine schon immer einmal malen. Aber das war es jetzt wirklich schon.

Beim Analysieren und Interpretieren fremder Werke sieht man so viele Details und Andeutungen darin, dass ich mich manchmal frage, ob der Künstler sie absichtlich eingebaut hat oder ob es schlicht und einfach Zufall war, dass das Werk so wurde wie es ist. Man will mir doch nicht erzählen, dass Goethe bei jeder Alliteration  einen expliziten Hintergrundgedanken hatte und sich vorfreudig beim Gedanken, wie die Leser seine Ellipsen deuten würden die Hände rieb.



Wir versuchen allem einen Sinn zu geben und dabei projizieren wir uns selbst in das zu betrachtende hinein. Wollen wir etwas trauriges sehen, weil wir im Moment der Betrachtung traurig sind, dann werden wir Gründe finden, in dem Werk etwas trauriges zu sehen. Gleiches gilt für andere Stimmungslagen.

Das ist es ja auch, was Kunst und Literatur so faszinierend macht: man sieht in den Kopf des Künstlers hinein, ohne exakt zu wissen, was er damit sagen will. Die Auslegung ist einem selbst überlassen und ganz individuell; niemand kann sie als falsch ablehnen, da es ja schließlich nur ein Deutungsversuch ist.
Der Künstler selbst sollte aber wahrscheinlich wissen, welche Intention hinter dem Bild steht.
Sich an der Erinnerung an die Reise und dem Roman erfreuen? Eine möglichst gute Zensur für das Bild zu erhalten?

Um meine Kunstlehrerin aber nicht mit dieser eiskalten Wahrheit konfrontieren zu müssen, starrte ich das Bild lang genug an, um ein paar absurde Interpretationsansätze auszubrüten.

Nach dieser steht die Ruine für das Alte, für vergangene Zeiten, die zwar nur noch ein schwacher Schatten ihrer ursprünglichen Pracht haben und doch noch da sind. Sie steht für verblassende Erinnerungen an Dinge, die uns wichtig waren und teilweise noch sind. So wichtig, dass sie sogar den Wellen und den Stürmen der Gegenwart trotzen und einen zentralen Punkt bilden können. Die neuen Dinge, symbolisiert durch die kleinen Häuser, sind zwar in größerer Menge vorhanden, doch nehmen sie zu dem abgebildeten Zeitpunkt noch keine so beeinflussende Position wie die mächtige Ruine ein. Vielleicht steht die Ruine für eine schlechte Erfahrung, welche die aufkeimenden guten; die Häuser; noch überschattet oder auch für eine alte Liebe, von der man sich nicht lösen kann oder will, obwohl ihr Glanz längst dahin ist.
Das freundliche Blau des Hintergrunds, die freundliche Gesamtstimmung stehen für einen gewissen Optimismus, dass die nie endende Veränderung des Lebens, die durch die bewegten Wellen und die Wolken symbolisiert wird, eine positive sein wird.

Da habe ich mir aber ordentlich was ausgedacht; ob es der Lehrerin gefällt bleibt abzuwarten. Ich komme mir selbst ein wenig albern vor, so viel hineinzudichten, doch wenn ich das Bild jetzt so betrachte, erscheint mir meine im Nachhinein erdachte Bildidee gar nicht so absurd.

Ob es den Dichtern und Autoren und Künstlern auch so ergeht? Interpretieren sie ihre Werke im Nachhinein und wiederholen diese Interpretation so oft, bis sie glauben, diese Gedanken schon vor Beginn ihrer Arbeit gehabt zu haben? Nehmen sie vielleicht fremde Interpretationen an und betrachteten sie als besser als ihre eigenen?

Sollten wir uns dreist fühlen, solche Geschichten in Dinge hineinzuinterpretieren? Aber kalte Fakten können nicht alles sein. Das Besondere der Kunst ist und bleibt, dass sie für jede Person eine andere Aussage haben kann.

Apfelkern




2 Kommentare:

  1. Der Kaufmann zwingt seinem Publikum eine Interpretation auf, um ihm das Gefühl zu geben, etwas wertvolles zu erblicken. Der Künstler wirft seinem Publikum etwas vor und die Interpretation wächst aus der Rezeption.
    Letzteres ist übrigens auch eine Selbstanalyse, weil nur im Abgleich mit dem Selbst diese Analyse vonstatten gehen kann. Deshalb kann ein Kunstwerk auch nie zweimal gleich gesehen werden. Wohl aber kann man an anderen Interpretationen reifen.

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  2. Genau das habe ich mir auch mal überlegt. Dieser ganze Gedichtinterpretierungsquatsch ist meiner Meinung nach zu nichts zu nütze. Vielleicht, dass man sich mit den Werken beschäftigt, aber alles, was darüber hinausgeht, verdirbt, so denke ich, nur die Freunde an der Poesie und an der Kunst... :/

    Liebe Grüße, Josi

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