Freitag, 21. Juli 2017

Digital Detox: ein unfreiwilliger Selbstversuch

Immer wieder liest man, dass Leute sich jetzt mal für eine Woche von den sozialen Medien verabschieden; sich mal so richtig Digital Detox gönnen. Nicht immer die längst nicht mehr chronologische Timeline refreshen und nicht jeden Pups, den sie lassen, in den Instastories festhalten müssen. Kann ich mir ja vorstellen, dass sowas sehr anstrengend ist und man davon mal eine Pause braucht. Was ich aber nicht mehr verstehen kann ist, dass alle den Digital Detox so sehr preisen. Denn ich hatte unfreiwillig drei Tage Digital Detox und kann nun sagen, dass es ein Luxus ist, sich sowas leisten zu können.

Ich habe mein Handy verloren. Einfach beim eiligen Radeln zum Hörsaal aus der Tasche gerutscht und erst am Ziel angekommen ist mir dann aufgefallen, dass etwas fehlt. Mit Hilfe des Laptops habe ich sofort das Telefon lokalisiert - laut der Karte in einem Wohnhaus, an dem ich nicht mal vorbei gekommen war. Der nicht so ehrliche Finder hat es direkt ausgeschaltet, sodass man weder eine Nachricht an ihn senden oder die Daten des Geräts löschen konnte. Denn dafür hätte es ja eine Internetverbindung gebraucht. Tjo, das war es dann wohl mit diesem Gerät. Und so stand ich plötzlich ohne Telefon da.

Die SIM Karte war schnell gesperrt, Ersatz dafür sowie ein neues Gerät ließen sich Dank Internet auch schnell organisieren. Blieben nur noch ein paar Tage ohne Handy zu überstehen. Kann ja nicht so schwer sein - dachte ich mir. Dann probiere ich den Digital Detox, von dem alle immer so schwärmen, wohl mal aus!

So ein modernes Mobilfunkgerät ist so viel mehr als das, was der Name beschreibt. Für mich ist es mein Kalender, mein Notizbuch, mein Lehrbuch für die Vorbereitung aufs Staatsexamen, mein mP3 Player, meine Kamera, mein Stadtplan, mein Wecker, meine Taschenlampe und damit irgendwie ein sehr zentrales Element für die Organisation meines Lebens. Natürlich hat es auch eine Unterhaltungsfunktion durch soziale Medien, Netflix oder die Podcast App, doch auf diese kann man auch mal für ein paar Tage verzichten.
Aber was soll man tun, wenn man keine Wahl hat? Man kann so richtig am eigenen Leib spüren, wie aufgeschmissen man ohne dieses kleine kluge Gerät ist.

Stehe beim Arzt, möchte mir einen neuen Termin machen - leider keinen Kalender dabei! Termin auf gut Glück vereinbart mit dem Versprechen, zurückzurufen, sollte man zuhause feststellen, dass er doch nicht passt. Wird nur schwer ohne Handy. Weil - wer hat denn noch ein Festnetztelefon daheim?

Am Bahnhof angekommen und genau die Bahn verpasst, die ich eigentlich erreichen wollte. Jetzt mal kurz checken, was die effizienteste Lösung ist, an den Zielort zu kommen. Ach ja - kein mobiles Internet. Das wird also nix mit der flexiblen intelligenten Routenplanung...

Neues Telefon bestellt und es an die Packstation liefern lassen. Die Vorfreude steigt, es daraus zu befreien. Es gibt nur ein Problem: um die mTAN zu empfangen braucht man ein Smartphone. Es ist zum Heulen!

Dank meines smartphonebesitzenden Freundes konnte ich letztlich doch mein Paket aus der Packstation retten und die unfreiwillige Internetkarenz beenden. Oh happy day!

Und was ist nun das Fazit zum Digital Detox?
Sagen wir so: der längerfristige Verzicht auf Nahrung heißt auch nur dann Fasten, wenn die Alternative nicht Hungern wäre.

Solange man freiwillig auf sein Telefon oder bestimmte Apps darauf verzichtet, kann das bestimmt das eigene Leben für eine Weile bereichern, weil man weniger abgelenkt ist. Doch wenn man es für Anrufe, Routenplanung oder Kalenderfunktion braucht, kann man das Telefon dann trotz Nichtbeachten der tausend ungelesenen Instagramnachrichten aus der Tasche ziehen und für diese nützlichen Funktionen einsetzen. Aber dafür muss man auch keinen Digital Detox verkünden, da man mit genug Selbstbeherrschung auch so seinen Konsum von Social Media oder das permanente Herumdaddeln auf dem Smartphone sein lassen kann. Theoretisch.

Für mich vereint mein Handy sehr viele Funktionen in sich, auf die ich nicht verzichten möchte und letztendlich auch langfristig nicht könnte. Mir selbst diese ganzen Möglichkeiten absichtlich vorzuenthalten, wäre einfach nur dämlich.
Und weil auch schon der analoge Detox mit abführenden Kräutertees zum Entschlacken Blödsinn ist, kann ich hiermit den Digital Detox auch offiziell zum schwachsinnigen Luxusprojekt erklären. Irgendwas muss man wohl machen, wenn man sonst keine Probleme hat.