Mittwoch, 21. Dezember 2016

Ins Netz gegangen: meine Erfahrung mit Onlinedating

Es ist ein paar Monate her, dass ich das letzte mal etwas zum Thema Beziehungen, Dating und dem Gefühl, wahrscheinlich für immer allein bleiben zu müssen, geschrieben habe. Seitdem hat sich einiges verändert und zwar ganz besonders an meiner Einstellung zum Thema Onlinedating, was ich zuvor ja immer konsequent abgelehnt hatte. 
Ich war überzeugt, dass man dort eh nur die wirklich verzweifelten Seelen antreffen würde. Dann war ich aber irgendwann anscheinend selbst verzweifelt genug, es trotzdem auszuprobieren. Immerhin kann ich jetzt auch zu dem Thema eine fundiertere Meinung abgeben, auch wenn ich meilenweit davon entfernt bin, so einen riesigen Erfahrungsschatz zu dem Thema zu besitzen, wie Juliane.

Es gibt wohl genauso wenig DAS Onlinedatingportal wie es DIE Cloud gibt. Daher kommen wir direkt zu Frage Nummer eins: auf welcher Plattform wollen wir denn suchen?
Für das spontane Ausprobieren (powered by ganz viel Selbstüberwindung und einer Freundin, die genug davon hatte, dass ich regelmäßig über Einsamkeit jammerte) kam für mich nicht infrage, etwas zu nutzen, was ein Abonnement oder generell Bezahlung erfordert. Ganz klischeehaft versuchte ich also Tinder zu installieren. Es blieb jedoch beim Versuch, da die App sich nach dem Öffnen immer wieder selbst beendete oder ewig im Suchmodus festhing. Dann wird halt woanders gematcht.
Gesagt, getan und zack die nächste Datingapp in der Liste installiert. Dieses mal hieß sie Pink und/oder Jaumo, was nicht durchgängig klar war. Scheinbar wurden da mal zwei Plattformen fusioniert, doch wen interessiert das schon. Hauptsache, die App lief. 

Kaum hatte ich ein Profil erstellt, meinen Namen und das Alter eingegeben, schon bekam ich die erste Nachricht.
"Hey Süße! Gibt es auch ein Bild von dir?"
Na klar gibt es das! Gib mir aber bitte erst mal fünf Minuten, überhaupt mein Profil einzurichten. Also Nachricht ignoriert, zwei Bilder hinzugefügt und noch ein bisschen was über mich ausgefüllt. Das Freitextfeld erschien mir auf den ersten Blick als zu viel Freiraum, um mich sofort auf einen Text festlegen zu können. Es ist nun mal wirklich schwer, seine Persönlichkeit und Ziele im Leben in vier Sätzen so zu verpacken, dass Fremde eine grobe Idee davon bekommen, was für ein Mensch man ist.
Scheinbar hat man zumindest als Lady solche Texte aber auch gar nicht nötig, da schon innerhalb der ersten Stunden nach Anmeldung zahlreiche Nachrichten eintrudelten. Wow, das ging fix!

Halbnackte Typen, die selbstdarstellerisch an ihre Karre gelehnt Sixpack und Tattoos präsentierten, Aufreißer, die sich für extrem verführerisch hielten und ab und an auch mal zurückhaltendere, sympathische Nachrichten purzelten in mein Postfach. Dazwischen gestreut wie Schokostückchen auch mal Männer mit Rechtschreibkenntnissen und neutralen bis attraktiven Prodilbildern. Das ging ganz schön ab dafür, dass ich mich dabei völlig ahnungslos fühlte, was ich da eigentlich tat. 

Die Art der oberflächlichen bis hin zu viel zu direkten Nachrichten störte mich dabei von Beginn an. Zugegeben ist es wirklich schwer, einen Gesprächseinstieg zu finden, wenn man den anderen gar nicht kennt und dabei einen guten Eindruck zu hinterlassen ist gleich mal noch einen Schritt näher an unmöglich, doch es gibt definitiv so ein paar Dinge, die wirklich nicht sein müssen.
Ich zweifelte ernsthaft an der Intelligenz der Menschheit.

Darunter waren sowohl Dinge, die genauso harmlos wie häufig waren wie das unvermeidliche"Hey Süße!" (Woher willst du wissen, dass ich süß bin, wenn du mich gar nicht kennst? Und noch schlimmer: wer gibt dir das Recht, mich so zu nennen?) als auch komische Anreden á la"Hey Prinzessin! Bist du auf der Suche nach einem Prinzen, der dich mit in sein Schloss nimmt?" bis hin zu Formulierungen, die mich einfach nur irritierten ("Hallo schöne Frau! Auch wenn du es gar nicht geschrieben hast: du bist extrem sexy. Lust, Bilder auszutauschen und zu fantasieren? ;)" ), weil ich nicht wusste, was zur Hölle ich darauf sagen sollte, mir aber klar war, dass ich eigentlich auch nicht weiter darauf eingehen wollte. Schon verrückt, wie direkt manche versuchen, zur Sache zu kommen.

Mein liebster Chatverlauf, bei dem ich sofort wusste, was ich sagen sollte, war folgender: 
Krass trainierter Typ mit halbnacktem Profilbild:"Du siehst wunderschön aus!" 
Apfelkern: "Ja, ich weiß!" 
Typ: *antwortet nie wieder*
Wahrscheinlich kam er mit so viel Direktheit und Selbstbewusstsein auch nicht klar. Dabei war das nicht mal komplett ernst gemeint, sondern war bloß ein alberner Reflex. 

Das führte aber zu einer ganz anderen Erkenntnis: Partnersuche funktioniert über auf selbiges optimierte Plattformen einfach komplett anders als im alltäglichen Leben.
Da hat man plötzlich einen riesigen Katalog potentieller Partner, die man gemütlich nach Kriterien von Körpergröße und Augenfarben über Anzahl der Rechtschreibfehler im Profil bis hin zur Angabe des Berufs oder Attraktivität auf den Bildern aussortieren kann. Auf der einen Seite wurden mir so viele Typen vorgeschlagen, die ich im realen Leben niemals mit dem Gedanken, dass sie für mich ein potentieller Partner sein könnten, angesehen hätte (sorry, bin eh zu vernünftig für schwer tättowierte Rapper!) und auf der anderen Seite gab es so eine riesige Auswahl an Profilen, dass ich ohne es sofort zu bemerken, sehr wählerisch wurde. 

Typ nur genauso groß wie ich oder kleiner? Next!
Bilder von zu vielen alkoholreichen Partynächten? Next!
Schon sehr deutlicher Bauchansatz? Next!
Raucher? Ewwww! Next!

Trifft man jemanden auf eine andere Weise und lernt erst denjenigen kennen und seinen Charakter zu schätzen, würde man ganz anders mit kleinen Makeln umgehen und sie sehr viel eher schlichtweg akzeptieren. So hat man aber die Auswahl und sucht vor lauter Angebot noch kritischer. Ganz nach dem Motto, wozu mit den faden Tiefkühlwindbeuteln zufrieden geben, wenn man auch die Gourmettorte mit Edelbitterschokolade vom Konditor haben kann.

Zum einen war es gut zu sehen, wer eigentlich wie nach einem Partner sucht und ein Gefühl dafür zu bekommen, dass man selbst a) nicht allein und b) definitiv nicht der verzweifeltste Mensch in dieser Situation ist, zum anderen lässt einen zu viel Auswahl und zu viel Aufmerksamkeit dann leider doch schnell ein wenig voreingenommen bis arrogant werden. Teilweise habe ich einfach anderen direkt einen Korb gegeben, weil mich das Profil auf den ersten Blick nicht angesprochen hat. Zwar immer auf möglichst freundlich-sachliche Art und Weise, um den anderen nicht völlig zu traumatisieren, am Ende dann aber doch ganz klar abweisend.

Und dabei bin ich mir unglaublich arschig vorgekommen. Ich fand mich selbst schrecklich. Wie kann man denn nur so oberflächlich sein und gleich nein wischen, nur weil derjenige klein ist und auf dem Bild einen dümmlichen Gesichtsausdruck hat, von dem ausgehend man direkt darauf schließt, dass derjenige tendenziell nicht die hellste Birne des Kronleuchters sein wird? Das verstößt komplett gegen meinen Grundsatz, einfach jedem erst einmal eine Chance zu geben.
Beim Dating offline in der Realität bin ich schon froh bis hin zu überrascht-schockiert gewesen, wenn mich zum Beispiel auf der Tanzfläche jemand angesprochen hat, online dagegen rechnete ich damit und habe von vornherein den anderen extrem viel kritischer betrachtet. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Verhaltensweise ist, um den möglichst fittesten und intelligentesten Partner zu finden, oder einfach wie schon erwähnt das Verhalten eines Dating-Arschlochs. 

Ganz ehrlich aber: ich möchte nicht nur aus Höflichkeit Zeit und Mühe in einen Kontakt investieren, von dem ich mir meinem Bauchgefühl zum ersten Eindruck folgend sowieso nichts erwarte oder noch schlimmer absolut keine Lust darauf habe. Am Ende würde ich auch nur den anderen enttäuschen, wenn ich dann plötzlich doch gar kein wirkliches Interesse habe, weshalb ich es von vorn herein sein lassen kann. 

Es gab auch noch einen anderen Gedanken, der mich beschäftigt. Wenn mir da so viele potentielle Traumprinzen angezeigt werden: mit wie vielen davon könnte ich wirklich glücklich werden? Könnte man nicht mit theoretisch jedem, mit dem man auf einem in etwa gleichen Intelligenzniveau ist, ähnliche Wertvorstellungen und Ansprüche an eine Beziehung hat, eine gute Partnerschaft führen? 
Man muss nur offen miteinander kommunizieren und dann Zeit sowie Arbeit investieren, damit es funktioniert und dann wird eine Beziehung mit Menschen, die auch dazu bereit sind, wahrscheinlich gut laufen. 

Mit anderen Worten: ich persönlich glaube nicht daran, dass es The One gibt, den einzig wahren Partner, mit dem man für immer und ewig glücklich sein kann. Es gibt für jeden Menschen sicher einige, mit denen das glücklich zusammen leben und alt werden funktionieren kann, solange beide aktiv dafür etwas tun. Man muss eben nur mal so jemanden finden und denjenigen dann bestenfalls nicht nur als Gleichgesinnten erkennen, sondern auch noch attraktiv finden.

Apropos aktiv dafür etwas tun: nach meinen paar Erlebnissen bin ich überzeugt, dass genau das in der Welt des Onlinedatings Timing eine extrem große Rolle spielt. Noch viel mehr als in offline Situationen, wo man jemanden im Alltag immer wieder trifft, immer wieder Kontakt haben und diesen intensivieren kann, wenn man Interesse hat, vielleicht mehr aus dieser Bekanntschaft zu machen. Schließlich ist der andere nicht ständig online erreichbar, viel wichtiger sucht er aber auch parallel aktiv nach Kontakten, weshalb der Moment so wichtig ist. Sonst hat er vielleicht schon was am Wickel.
Wen erwischt man gerade online, wer sieht und matcht einen zufällig? Der andere kann noch so attraktiv, korrekt in Orthographie und Grammatik sowie kreativ in den Formulierungen als auch interessant sein: wenn er nie Zeit für Antworten oder ein Treffen findet, wird es wahrscheinlich einfach nichts mit demjenigen werden. 
Und je öfter man das Treffen dann schon verschieben musste, desto unwahrscheinlicher wird es, dieses Vorhaben tatsächlich noch zu realisieren. Unter anderem auch, weil das Angebot ja noch mehr potentielle Dates hergibt.

Wirklich unangenehm wird es dann, wenn man den einen schon getroffen hat, wiedersehen will und dann der nächste Kandidat aus einem anderen Chat, den man nebenbei weiter geführt hat, doch noch einen Termin für ein Rendezvous findet. Das waren schwere Momente für mein Gewissen, bis ich mich entschieden hatte, nicht zwei Männer parallel zu daten, weil das nur in Ärger und Enttäuschung ausgeufert wäre. Vor allem, wenn das schon statt gehabte Treffen auch noch richtig gut war.

Es gibt also ein paar Tipps, die ich meinem Vergangenheits-Ich gern gegeben hätte, bevor es sich in diese Datingsache hinein gestürzt hat:

  • Es ist in Ordnung, wählerisch zu sein! 
  • Traue deinem Bauchgefühl und dem ersten Eindruck
  • Ehrlichkeit lohnt sich, Spielchen spielen frustriert nur und sind irreführend.
  • Immer nur einen Chat ernsthaft führen und nicht mehrere nebeneinander
  • Finde heraus, welche Richtung des Swipens in der App ja und welche nein bedeutet, bevor du versehentlich einfach alle matchst, weil du dir nur mal die Profile ansehen wolltest...
Am Ende hat sich viel von dem, was ich vom Onlinedating erwartet habe, als wahr erwiesen. Man wird von merkwürdigen Gestalten mit furchtbaren Anmachsprüchen angeschrieben, einige davon wollen direkt zum Sex(-ting) übergehen, andere sind auf den ersten Blick selbstunsicher, hilflos und verzweifelt und man muss sich daran erinnern, dass man ihnen dennoch einen Korb geben darf, weil es keine Selbsthilfegruppe ist, sondern ein Portal für eine Partnersuche. Mit anderen Worten: das ist das, was ich damit meinte, als ich sagte, Onlinedating wäre eine Sammelstelle für die ganz verzweifelten Singles.
Schließlich hatte ich doch interessante und sehr lebhafte Chats, von denen aus sich Dates und ein Dauerdate ergeben haben, aus dem dann eine Beziehung entstanden ist. Es klappt also tatsächlich mit dieser Partnersuche im Netz.

Habt ihr schon mal online nach Partnern gesucht? Was habt ihr erlebt?

1 Kommentar:

  1. Ich habe ehrlich gesagt auch schon öfter mit dem Gedanken gespielt. Schon allein weil ich neugierig bin. Durch deinen Bericht bin ich aber eher abgeneigt - mir fällt es echt unheimlich schwer nein zu sagen. So viele Abfuhren zu verteilen würde mich echt in ein tiefes Loch stürzen... wäre ignorieren eine Option? Viele Kerle scheinen ja einfach drauflos zu tippen ohne groß aufs Profil zu schauen.
    Bei dem Prinzenspruch musste ich aber schon lachen! Ehrlich - ich hätte nicht gedacht dass sich jemend noch so was abgedroschenes wagt zu verschicken.
    Ich bin auf jeden Fall dankbar für deinen aufühlichen Bericht, sowohl was die Praxis, als auch deine Psyche angeht.
    Und drück dir die Daumen, dass das mit dem "Dauerdate" noch lange hält. ;)

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