Sonntag, 31. Juli 2016

Bist du schon vegan oder ignorierst du noch?

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass ich ein kleines Selbstexperiment gemacht und mich eine Woche vegan ernährt habe. Etwa sieben Monate ist es her, dass ich von meinem Vorsatz fürs neue Jahr, weniger Tierprodukte zu konsumieren, geschrieben habe. Ja da stellt sich doch eine Frage: was ist denn daraus geworden?

Spoiler: aus mir ist bisher kein Veganer geworden. Ehrlich gesagt habe ich damit aber auch nicht gerechnet. Aber so ein paar Sachen haben sich getan.
Ich denke weiterhin, dass es ganz objektiv gesehen die gesündeste und ökonomisch effizienteste Ernährungsweise ist, auf tierische Produkte zu verzichten. Obst, Gemüse, Getreide - viel mehr braucht man nicht. Also ja, Wasser, Spurenelemente, Mineralien… aber ihr wisst schon, was ich meine. Nichts tierisches zumindest.

Wenn man es ganz sachlich betrachtet, ist es auch definitiv nicht angenehm, sich klar zu machen, dass Fleischkonsum letztlich Leichenkonsum ist. Und gruseliger Weise sehen tote Tiere anders als tote Pflanzen auch noch sehr ähnlich aus wie menschliche Leichen. Es ist schon seltsam, beim Zerlegen des Spanferkels die gleichen anatomischen Strukturen wie beim menschlichen Körper aus dem Präparierkurs zu finden. Und dann hat man plötzlich das Nervengeflecht des Plexus brachialis aus dem Spanferkel freigelegt, das exakt so aufgebaut ist wie der humane. Muss man das essen? Wie unangenehm. Das reicht schon, um mir ein ungutes Gefühl zu geben, wenn ich Fleisch esse.

So so, ich finde es also nicht nett, Leichenteile zu essen. Ja aber warum mache ich es denn trotzdem?!
Es gibt dafür zwei Gründe für mich und die sind alle beide durchweg egoistisch.

Nummer eins: leider schmeckt es mir einfach, ganz offen zugegeben.

Ich kann viele Dinge fleischlos ähnlich lecker kochen aber solche Dinge wie den puren Fleischgeschmack eines Rindersteaks oder gebratenen Lamms kann man einfach nicht imitieren. Sagen Kannibalen sowas sich verteidigend auch über Menschenfleisch und klingt das dann genauso grotesk?
Einerseits denke ich gerade an den vollen Geschmack eines medium gebratenen Rindersteaks und gleichzeitig frage ich mich, wie man nur so grausam sein kann, gern Teile von kleinen wolligen Lämmer zu essen. Ich bin ein großer Haufen Widersprüche und Zwiespalt, was Fleischessen angeht.

Nummer zwei: es schränkt mich ein, vegan zu leben. 

Es bedeutet nicht, dass man keine vielfältige Ernährung haben kann, die einem Genuss bereitet (das kann man nämlich definitiv), doch es fällt viel Spontanität weg. Nicht einfach mal am Buffet kosten, was gut aussieht, sondern immer vorher die Inhaltsstoffe erfragen. Man kann nicht einfach auf gut Glück in irgendein Restaurant gehen und etwas essen, weil der Salat vielleicht das einzige rein pflanzliche Gericht auf der Karte ist.
Noch blöder ist aber, dass ich damit meine eigenen Erlebnisse einschränke. Im Urlaub kann ich so nicht das landestypische nonvegane Gericht probieren, sondern muss immer Alternativen suchen. Die Alternativen müssen ja nicht schlecht sein, doch eigentlich würde ich noch viel lieber den frischen isländischen Fisch essen oder Haggis probieren. Es würde für mich einen persönlichen Verzicht bedeuten, mich in diesem Moment vegan zu ernähren und dafür ist der innere egoistische Schweinehund offen gestanden zu groß.

Generell ist es ein absolut rein egoistisches, rücksichtsloses Verhalten, Fleisch und andere tierische Produkte zu verzehren. Da muss man sich gar nichts anderes einreden. Man stellt sich damit ganz klar über die anderen Lebewesen und das nicht nur in irgendwelchen metaphorischen Weisen sondern ganz realistisch, da man durch die Entscheidung, was es zum Mittag gibt, deren Leben nachhaltig schädigt. Oder beendet. Nicht so nett.

Ihr seht: ich bin sehr gespalten, was den Konsum tierischer Produkte angeht. Insgeheim bin ich im Herzen ein kleiner Möchtegern-Veganer aber am Ende nur inkonsequent und egoistisch. Muss ich leider zugeben, denn das ist einfach die Wahrheit.

Solange es mich nicht einschränkt, treffe ich immer die Entscheidung für vegetarische oder vegane Lebensmittel. So gibt es bei uns in der WG ausschließlich Sojamilch statt Kuhmilch im Kühlschrank, Fleisch wird eh erst gar nicht gekauft und wenn ich für mich allein koche, dann in 98% der Fälle vegetarisch und oft auch vegan. Wenn da nicht Butter und Käse wären.
Zusätzlich zu Milchprodukten und Eiern kommt dann ungefähr jedes Wochenende ein soziales Essen, ein gemeinsames Essen mit Freunden und Familie. Und damit auch Situationen, in denen Fleisch serviert wird.

Sobald die Freunde nun zum Grillen einladen und mir den gegarten marinierten Brustkorb eines Schweins vorsetzen, ist es schnell vorbei mit all den rationalen Einsichten. Ich sage nicht nein zum Fleisch aber während ich esse und schuldbewusst feststelle, dass es mir schmeckt, notiere ich still, dass Schweine die exakt gleiche Anordnung der Zwischenrippenmuskulatur haben wie Menschen. Wie unangenehm.
So rein von der Vorstellung her, wäre ich im Präparierkurs des Studiums niemals auf die Idee gekommen, menschliche Leichen zu essen oder nur ansatzweise als potentielles Nahrungsmittel zu betrachten. Wie sind wir dann nur auf die absurde Idee gekommen, dass Tiere ein Nahrungsmittel wären? Ach ja, dieser Kampf ums Überleben und der Evolutionsdruck. Damals.

Nun sitze ich da und fühle mich schlecht dabei, Fleisch zu essen und gleichzeitig wäre es mir vor meinen omnivoren Freunden und Familienmitgliedern peinlich bis hin zu einem Grund für Spott, sich als Veganer oder auch nur Vegetarier zu outen. Das würde ja auch gleichzeitig bedeuten, dass ich mich selbst dauerhaft disziplinieren in meiner Ernährung einschränken müsste. In manchen Momenten würde sich es anfühlen wie Selbstbestrafung.

Ich wünschte, ich könnte mich durch Photosynthese ernähren. Auch wenn ich gern esse und das sehr genieße: es ist anstrengend, wenn Essen plötzlich zur moralischen Frage wird, die jedes mal aufs neue Entscheidungen und Schuldgefühle provoziert. Das Problem ist nur, dass ich nicht mehr ignorant genug bin, um guten Gewissens Fleisch essen zu können.

4 Kommentare:

  1. Nun, aus mir würde auch keine Vegetarierin oder Veganerin werden! Erstens mag ich Fleisch viel zu gerne (ich habs ebenfalls mal ohne probiert), zweitens haben auch diese Ernährungsformen ihre Schattenseiten. Drittens: Ich halte es überhaupt nicht für verwerflich, Fleisch zu essen, aber ich halte die Tierproduktion dafür für verwerflich. Ich versuche, die Massenproduktion zu umgehen, auch wenn das bedeutet, dass ich mich ins Auto setzen und 20 Minuten fahren muss. Ich muss auch nicht jeden Tag Fleisch haben.

    Müssten wir uns alle selbst darum kümmern, uns Fleisch zu beschaffen, sprich jagen, erlegen, verwerten etc., wüssten wir es anders zu schätzen. Es ist die Massenproduktion, die ständige Verfügbarkeit und der Punkt, dass wir Fleisch nur noch in abgepackter Form kennen, die mich ärgert.
    AnnJ

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    1. Mhm, so richtige Schattenseiten außer den Verzicht auf etwas, das man leider als Genuss empfindet, sehe ich nicht. Man muss nur etwas stärker darauf achten, ausgewogen zu essen und Vitamin B12 substituieren, was mich nicht primär stören würde.

      Da ist auch was dran. So wie unsere Vorfahren und sogar noch unsere Großeltern Fleisch gewonnen haben (nämlich mit Jagd oder eigener Aufzucht), ist es sehr viel weniger verwerflich, Tiere zu essen, weil sie zumindest während sie leben wenig leiden. Aber mit der heutigen Massenproduktion ist ein gutes Gewissen beim Fleischkonsum nicht vereinbar.
      Ich wäre wirklich gespannt, wie viele Leute tatsächlich noch Fleisch essen würden, wenn sie es selbst erlegen müssten!

      Danke für deine Gedanken,

      Apfelkern

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  2. Hey,
    ziemlich guter Artikel! Ich esse seit einigen Jahren vegetarisch, mit sehr seltenen Ausnahmen für Fisch bei Oma. Denke auch oft, dass viel Bequemlichkeit ist, wenn ich mich nach meinen eigenen moralischen Standarts ernähren würde, müsste ich defintiv vegan essen. Und könnte das auch häufiger, als ich es jetzt tue. Es gibt zwar auch nur Sojamilch bei mir, aber ich stehe gerade so auf Quark. Und mag Halloumi gerade lieber als Falafel. Und Käse.
    Aber ich finde es schade dass es für dich peinlich wäre, dich auch nur als Vegetarierin zu "outen". Ich habe das Gefühl, dass das inzwischen so in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dass es eigentlich kein großes Ding mehr ist.
    Vielleicht lebe ihc auch zu sehr in meiner gesellschaftswissenschaftliches Studium und Berlin Blase, aber selbst in meiner Familie bin ich größtenteils auf Verständnis gestoßen (also, meine Oma rechtfertigt inzwischen regelmäßig ihren Fleischkonsum vor mir, obwohl ich wirklich nicht versuche sie irgendwovon zu überzeugen)
    Aber vor allem yay für den rationalen Zugang zu der Thematik!

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    1. Wow, vielen Dank für das Kompliment!
      In deinen Worten finde ich mich selbst auch sehr wieder.
      Der Widerspruch zwischen eigener Moral und der Realität kenne ich nur zu gut, das Verhalten, für die Großeltern Fleisch zu essen, weil sie sonst so irritiert und enttäuscht wären, genauso.

      Es wäre mir nicht vor meinen Kommilitonen und studentischen Freunden peinlich aber es gibt so ein paar, die immer Witze über Vegetarier machen und das macht wenig Lust, ihnen zu erzählen, dass sie ignorant und Vegetarismus einfach nur logisch ist. Tatsächlich lebe ich ja auch in der "Berlin Blase" und komme so in den Genuss, ganz bequem veganes Essen in der Mensa oder auch mal in Restaurants zu bekommen. Es liegt am Ende einfach an mir, dass ich mich nicht öffentlich zu irgendwas bekennen will, zum Teil auch, weil es einen so festlegt. Insgeheim ernähre ich mich am Ende dann aber doch fast ausschließlich vegetarisch.

      Liebe Grüße,
      Apfelkern

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