Montag, 7. September 2015

Theoretisch neidisch

Heute bin ich zufällig über einen Instagram Account einer ehemaligen Mitschülerin gestolpert, die mit mir gemeinsam Abitur gemacht hat. Die Neugier siegte und ich sah mir an, was sie in den letzten Jahren so getan hat. Von diesem Account aus fand ich schnell weitere Benutzerkonten ehemaliger Mitschüler.  Man hangelt sich von einem zum anderen. Ich sah Bilder von wilden Partys, Trunkenheit, Glück, Drogen, vielen vielen Tattoos, Urlaubsbilder; sogar Hochzeitsbilder.

Dann sah ich mir meinen eigenen Instagramaccount an. Viele Naturbilder, Essen, Lakritze, Bilder von Urlauben, Bilder unseres Kater und von meinen Strickprojekten. Keine Partybilder, keine fotografischen Erinnerungen an durchzechte Nächte, keine Drogen, keine Tattoos und generell keine Bilder von Gesichtern. Ganz schön langweilig im Vergleich zu all den wilden Momentaufnahmen.

Ich fühlte mich schlecht und vor allem als Langweiler. Mache ich gerade einen großen Fehler, indem ich mir diese wilde Jugend entgehen lasse? Ich war noch nie betrunken, weil ich Alkohol lieber genieße als einfach nur in mich rein kippe und Kontrollverlust scheiße finde. Zigaretten und alles, was man rauchen könnte, rühre ich nicht an, weil ich es einfach nur unendlich widerlich finde. Und so richtige Drogen im Sinne synthetischer Rauschmittel würde ich allein schon niemals nehmen, weil ich viel zu viel Angst vor den Folgen habe. Den Nebenwirkungen, den beigesetzten Stoffen, der Abhängigkeit, dem Zeitraum des Rausches und den gesundheitlichen Schäden. Auch ich gehe gern tanzen - aber dann lieber früh, wenn die Tanzfläche noch leer ist und um dann gegen spätestens ein Uhr erschöpft nach Hause zu können. Damit der Rhythmus des nächsten Tages nicht völlig durcheinander kommt.

Ich klinge wie eine Omi. Passt ja zu meiner Leidenschaft fürs Stricken.

Im Ernst: ich weiß nicht, ob ich neidisch sein soll, dass alle anderen so entspannt und unbesorgt leben oder bestürzt über deren Eskapaden.
Ich studiere Medizin, das Studium läuft gut, ich mache regelmäßig Sport, ernähre mich mehr oder weniger gesund, habe vielleicht nicht unendlich viele aber sehr gute Freunde. Eigentlich bin ich glücklich mit dem, was ich habe. Eigentlich glücklich, bis man in den sozialen Netzwerken vorgeführt bekommt, was die anderen haben. Will ich das überhaupt? Aber sie sehen doch aus, als würden sie im Glück schwimmen!

Natürlich habe ich schon daran gedacht, dass Instagram nicht unbedingt das wahre Leben zeigt. Den Morgen nach der alkoholgetränkten Party mit Kater und Kotzen zeigen die wenigsten. Trotz dieser Logik ist meine Bewunderung für diese fast naive Lebensweise, die sie auf ihren Profilen zeigen, noch da. In meinem Inneren weiß ich, dass ich das nie haben werde und auch nicht möchte. Das bin einfach nicht ich. All diese Situationen wären für mich nicht besonders angenehm. Saufurlaube sind für mich Horror, ich gehe lieber klassisch die Stadt erkunden oder in Museen. Bilder von meinem halbnackten Ich auf einer Party öffentlich zu posten ist so ziemlich das letzte, was ich freiwillig tun würde. Ich würde direkt an all die möglichen Konsequenzen denken - ich bin dafür zu verkopft. Und dieser Kopf weiß auch, dass dieser Neid ein Neid ist, weil ich diese Situationen des spontanen Freundschaftstattoos oder des Rauchens im Sonnenuntergang nicht erleben werde, weil ich sie nicht erleben will.

Aber so ist es ja immer: man sehnt sich nach dem, was man nicht haben kann und vielleicht nicht mal haben will. So ist das Leben einfach.

9 Kommentare:

  1. ich stehe mittlerweile sehr kritisch Instagram gegenüber- so viel Selbstdarstellung ertrage ich einfach nicht (zu alt?). Diese "mein Haus, mein, Auto, mein Duckface" Mentalität wird aber in den jüngeren Generationen immer mehr zum tragen kommen. Da ist mir ein Bild von Socken tausendmal lieber. ;) Und bedenke: es gibt auch Leute die neidisch auf deinen Feed schauen, da müssen wir uns gar nichts vormachen ;)

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    1. Selbstdarstellung ist gut fürs Selbstbewusstsein und in. Aber glauben darf man dem nicht, was man sieht und trotz diesen Wissens lässt man sich davon beeindrucken und beeinflussen. Tja, jeder ist auf irgendwen neidisch. Und vielleicht wollen die Partymäuse ja tatsächlich lieber so wie ich Socken stricken können.

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  2. Alles was du aufzählst, klingt genau nach mir und das macht dich sympathisch. :) Und ganz ehrlich, wenn ich einen Instagram Account sehe auf dem nur Selfies sind, habe ich sofort eine Schublade aufgemacht, die das große Label hat "Ganz furchtbar!". Damit mag man demjenigen unrecht tun, aber an zu großer Selbstdarstellung bin ich nicht interessiert und rolle nur stöhnend mit den Augen.

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    1. Hat ein Instagram überwiegend Selfies, kommt es bei mir auch direkt in eine Schublade. Aber eher in die "ist selbstbewusst und hat viel Spaß im Leben" Schublade . Das heißt allerdings auch nicht, dass ich das sehen will. Es ist mir zu viel Selbstdarstellung. Interessant ist es nur bei Bekannten, die man lange nicht mehr gesehen hat - man bekommt einfach einen Einblick, wie sie jetzt leben.

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  3. Keine Sorge. Ich bin sogar so langweilig, dass ich nicht mal einen Instagram Account besitze. Museen vor Clubs!

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    1. Museen vor Clubs - das ist ja mal eine großartige Idee für ein persönliches Motto! Vielleicht können wir ja mal zusammen ein Berliner Museum rocken gehen...

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  4. Dein Gedankengang könnte auch von mir sein, ich hab das Gefühl die wilde Zeit komplett übersprungen zu haben und frage mich ob ich es eines Tages bereue. Meine Freunde sagen oft ich bin im Herzen 40. Und ich bin spießig, das sage ich von mir selbst. Ich bin glücklich aber die Zweifel kommen mir oft.

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    1. Im Herzen vierzig…klingt nach dem Gefühl, das ich auch habe. Ab und an stört mich das, ich versuche, mehr zu erleben aber eigentlich bin ich mit dem zufrieden, was ich habe. Man sollte daher nicht an sich zweifeln aber tut es trotzdem. Wir sind halt so und das ist in Ordnung. Und vor allem sind wir damit anscheinend nicht allein sondern mindestens zu zweit. <3

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  5. Hey du!
    Ich finde es ein bisschen schwierig was du schreibst, weil die "Wahrheit" (so es sie denn gibt) wohl irgendwo dazwischen liegt. Ich nutze zwar kein Instagram, aber wenn, würden bei mir wahrscheinlcih auch vor allem Festivalbilder, Katzenfotos (in welche Kategorie fallen die? ;)) und so klassische Spaß mit Freunden Bilder, bestimmt auch einige, die unter Alkoholeinfluss entstanden sind, sein. Obwohl ich dir sonst, von deiner Beschreibung her, ähnlicher bin als diesen Instagram-Leuten. Weil diese Instagram-Selbstdarstellung ja auch immer nur bewusst gewählte Ausschnitte zeigt. Und so wenig sie den Kater am Morgen nach der Party zeigt, ist eben auch das Studium/die Ausbildung/die Hausarbeit/schlechte Tage vertreten. Und Interessen sind halt einfach verschieden. Vielleicht urteilst du zu sehr über Menschen, die anders ticken als du.
    Und ich erwische mich auch immer dabei, wie ich ehemalige Mitschüler für ihre life choices belächel, aber dann versuche ich weniger zu verurteilen.
    Viele Grüße :)

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