Donnerstag, 28. März 2013

Expedition nach IKEA

Irgendwann musste es ja heraus kommen; man kann so etwas nicht ewig verbergen: ich war noch nie bei IKEA. Ewiges Dorfkind halt. Alle sprachen davon, alle zeigten stolz ihre Billys und Lacks und wie die ganzen Teile noch so heißen. Überall IKEA-Kissen, IKEA-Duftkerzen, IKEA-Geschirr und was einem sonst noch einfällt.
Übrigens werde ich nicht dafür bezahlt, den Namen des Ladens so oft wie möglich zu erwähnen.

Meine IKEA-Jungfräulichkeit ist jedenfalls seit heute Geschichte - ich kann es ja selbst kaum glauben, dass der Konsumtempelbesuch so schnell und schmerzlos ablief.

Lektion eins: es heißt nicht, wir fahren nach IKEA, sondern zu IKEA. Wieder was gelernt.

Der erste Eindruck war schlicht und einfach nur ein "scheiße ist das Gebäude riesig!". Ganz passend zum riesigen Gebäude gab es einen gigantischen Parkplatz mit Anzeige, wo man sich denn am besten hinbegibt, wenn man noch einen Parkplatz finden möchte. Dann kam der Moment, die berühmten Hallen zu betreten, die nebenbei bemerkt von außen eher nach blauem Container als Möbelhaus aussahen.

Aber wen interessiert schon das Äußere - wichtig ist doch eh nur, dass es innen Toiletten gibt.  Deren Existenz kann ich nach eigenem Test nur bestätigen. Das spricht doch schon einmal eindeutig für IKEA.
Es folgte ein Rundgang durch die Ausstellungsräume. Wir waren nicht auf der Suche nach Möbeln oder ähnlichem, weshalb wir gemütlich durchschlendern konnten. Wir wollten schließlich einfach nur ein IKEA besichtigen.

Ausstellungsräume verbreiten eine merkwürdige Atmosphäre. Auch wenn die Preisschilder und Informationszettelchen den Eindruck abschwächen - es sieht alles viel zu unecht und perfekt aus. Ein wenig erinnerte mich das an die Blogs von Lifestyle-Bloggern, in denen auch immer alles so vintage, so harmonisch und so perfekt drapiert ist. Hat definitiv Potential, Kulisse eines Horrorfilms zu werden.

Ich lernte, Expedit-Regale in all ihren Auswüchsen zu erkennen, freute mich über jeden Malm-Abkömmling, der mich an den Nachttisch, der beim Aufwachen neben mir steht, erinnert und irgendwann empfing mich auch die Duftkerzenabteilung in all ihrem Grauen.
Lange bevor sie erreicht war, roch man die pentetrant süßlich-künstlich duftenden Kerzen schon. Als ich dann vor den Regalen stand war die Duftwolke schlichtweg umwerfend. Was auch immer der gefühlte Rest der Menschheit daran mag - ich flüchtete davor.

In der Lampenabteilung für Lampen ohne komischen Geruch fühlte ich mich auch direkt wohler. Wieder kam das Schmunzeln bei jeder Lampe, die ich schon einmal irgendwo gesehen hatte und nun wiedererkannte. Hrhr - ich weiß, wo deine Wurzen liegen, Lampe!
Mein absolutes Lieblingsmodell ist aber die spontan so getaufte Müslilampe Gavik. Lampenschirm abnehmen, Müsli und Milch reinkippen, frühstücken. Fände ich sie sonst weniger hässlich und hätte weniger Angst, dass ich Tollpatsch sie gleich zertrümmere, würde ich sie doch glatt zu meiner Müslischalenlampe befördern.

Von dort aus ging es weiter in das IKEA Restaurant. Dieses touristische Besichtigen ist nämlich verdammt anstrengend. Alle schwärmen ja von Köttbullar und Mandelkuchen, doch der Spaß mit den Köttbullar (der, die, das Köttbullar? ) blieb mir aufgrund des Pferdefleischskandals verwehrt. Na ja, wenn ich mich in fünf Jahren noch mal in ein IKEA verirre, kann ich das ja vielleicht nachholen.
Also wurden andere Dinge probiert und natürlich dokumentiert. Das Geschnetzelte in Erdnussauce war mittelprächtig, der Krokantkuchen nett aber doch sehr süß. Wie es scheint bin ich geschmacklich noch nicht wirklich auf IKEA eingestellt. Aber schön, dass es zum Kuchen noch eine kleine Zugabe gab. Für gratis Beigaben bin ich ja immer zu haben.

Gestärkt zogen wir weiter in den Schwedenshop. Ich war erstaunt, was für Dinge es da gab. Oder eher, ob es denn da etwas nicht gab.
Vom Möbel über die Wäscheklammer bis hin zum Knäckebrot kann man sich quasi sein ganzes Leben mit IKEA Artikeln einrichten. Das ist ja wie Apple nur mit Einrichtungsgegenständen: sie verkaufen mehr als das Produkt; sie verkaufen ein Lebensgefühl. Allein schon die Namen der ganzen Artikel. Richtige IKEA Fans sprechen ihr(e?) Expedit sicher auch mit Namen an.

Das mit dem Ansprechen kann ich nun auch tun, denn vom Besuch im Möbelhaus sind zwei Holmös mitgekommen. Sie wurden direkt nach der Rückkehr aufgebaut - daher entstand in allem Eifer auch nur schnell ein verwackeltes Bild und zieren beziehungsweise beleuchten jetzt das Schlafzimmer.

Was soll ich sagen - dieses IKEA Ding ist gruselig groß und durchdacht aber doch sehr faszinierend. IKEA - ich würde es wieder tun.

Ach und: ich habe Holmö in Holmi umgetauft. Klingt gleich nur halb so dämlich.

Apfelkern

Freitag, 22. März 2013

Lebt der noch oder stirbt der schon?


Während eines Pflegepraktikums denkt man über einiges nach, das einem sonst nicht in den Sinn kommt. Oder zumindest selten und weniger präsent.

Eins ist mir klar: ich habe kein Problem damit, selbst Patient zu sein. Ich möchte aber kein Dauerpatient, kein Pflegefall werden. Ich möchte nicht unbeweglich sein und mich monatelang; vielleicht sogar jahrelang mit Inkontinenzmaterialien versorgen aka windeln lassen, gefüttert oder via Sonde oder PEG ernährt werden müssen und all das auch nur gerade so ertragen können, weil ich mit rezeptpflichtigen Betäubungsmitteln zugedröhnt bin.

Es ist nicht Krankheit selbst, was mir Angst macht. Der schreckliche Gedanke ist, nicht die Aussicht haben, wieder gesund zu werden. Und noch schrecklicher ist der Gedanke, das ganze nicht nur selbst zu erleben, sondern dabei zusehen zu müssen, wie der Partner genau das durchlebt, langsam vor sich hin stirbt und man dabei hilflos zusehen muss.
Vielleicht kann man ja weitere unnötige weil eh nicht mehr wirksame Behandlungen ablehnen und  lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen, aktive Sterbehilfe leisten ist aber verboten.

Davon abgesehen: ich möchte nicht erleben, wie ein Partner, mit dem ich über ein halbes Jahrhundert zusammen bin, sich mir entfremdet, mich nicht mehr erkennt, abmagert, körperlich langsam verfällt und ich das weder aufhalten noch beenden kann. Das Leben kann grausamer sein als der Tod.

Es ist niemals leicht, Menschen, die man liebt los zu lassen. Trotzdem muss es wahrscheinlich sein. Ich hoffe für alle mir nahestehenden Personen, dass sie sterben ohne lange zu leiden.
Mich betrifft das aktuell nicht selbst - zum Glück. Es ist schlimm genug, das bei Fremden mitzuerleben.

Eine Grenze zu ziehen, wann ein Leben noch lebenswert ist, ist unendlich schwer. Wer sollte das tun? Anhand welcher Kriterien? Es ist doch eh alles subjektiv. Das hilft allerdings auch nicht weiter, wenn der Betroffene selbst sich nicht mehr dazu äußern kann.

Unser medizinisches System ist großartig, hilft so vielen und kann so viel. Eines kann es aber nicht immer: zwischen zu behandelndem Patient und Sterbendem unterscheiden.

Apfelkern

Sonntag, 17. März 2013

Nicht nur zweifeln, sondern leben

Wie gut seid ihr darin, Entscheidungen zu treffen? Ich würde die Frage nicht sofort beantworten können; vielleicht ist das schon das erste Zeichen dafür, dass die Antwort zur ersten Frage eher in Richtung nicht besonders gut tendiert.
Was die eigene Ausbildung und Bildung angeht, fiel es mir bisher leicht, Entscheidungen zu fällen. Mir war klar, auf welches Gymnasium ich nach der Grundschule wechseln wollte, ich wusste, in welchem Fach ich meine Facharbeit absolvieren, welchen Leistungskurs und welche Prüfungsfächer ich wählen würde. Es sind alles Entscheidungen, die ich im Nachhinein nicht als falsch einstufe.

Was mir verglichen damit unglaublich schwer fiel, war die Wahl des Studienfachs. Woher sollte ich als gerade aus dem Schulsystem geworfener Abiturient wissen, welche Profession mich ein Leben lang (bis dann wahrscheinlich Rente mit 76) glücklich machen würde?

Aus genau diesem Grund bewundere ich junge Menschen, die schon seit Jahren mit so absoluter Sicherheit zu wissen scheinen, welchen Beruf sie erlernen wollen. 
Mir war klar, dass ich nicht immer im Büro hocken will, nicht nur stumpf und ohne direkte Wirkung Zahlen schieben sondern etwas "nützliches" tun wollte. Da mich Naturwissenschaften schon lange interessierten, ich während eines kleinen Praktikums in der Pathologie bemerkte, dass ich mit Blut und Leichen kein Problem habe und ich in einem Pflegepraktikum feststellte, dass ich sogar mit lebenden Patienten zurecht komme, entschied ich mich für ein Medizinstudium.

Was soll ich sagen - es scheint eine gute Entscheidung gewesen zu sein. Die Großzahl der Vorlesungen, Seminare, Praktika und Untersuchungskurse fand ich sehr spannend. Weil mich die Medizin grundlegend fasziniert. Dass die Semesterferien nahezu komplett für Pflegepraktika und Famulaturen draufgehen, der Lernaufwand ziemlich enorm ist, macht es nicht unbedingt zu dem entspanntestem Studium, das man hätte wählen können, aber ich bin dennoch zufrieden damit.
Gerade habe ich die Nachricht bekommen, dass ich die Prüfungen zum Abschluss des ersten Semesters auch allesamt bestanden habe und damit - Level up! - kein Ersti mehr bin. 

Scheint alles gut zu laufen. Das zweite Pflegepraktikum ist gerade an seiner Halbzeit angekommen - es geht voran. Und dann kommen die Dinge, die diesen schönen Plan wieder ins Schwanken bringen. Stichwort Handdesinfektion.

Bisher schmierte ich mir nahezu fröhlich Sterilium auf die Hände zur Desinfektion. In dem Krankenhaus, in dem ich aktuell mein Pflegepraktikum absolviere wird statt Sterilium Desderman pure, Desmanol N und ein "sensiva" Desinfektionsmittel des gleichen Herstellers genutzt. Von mir aus - Allergien habe ich ja schließlich nicht. 
Oder vielleicht sollte ich treffender formulieren, dass keine bekannten Allergien vorliegen. Ob es eine Kombination der Mittel oder ein einziges davon ist - ich bekomme davon einen Ausschlag an den Händen, sie werden sehr trocken. Na super.

Durch ein wenig Herumprobieren, das ausschließliche Benutzen eines der Produkte, fand ich heraus, dass ich Desderman pure vertrage, den Rest aber nicht unbedingt. Allergisch auf das sensitiv Mittelchen - das nenne ich mal einen miesen Witz.
Vielleicht brennt auch einfach alles davon, weil meine Hände hübsch trocken und partiell die Haut sogar eingerissen ist. Schorf zwischen den Fingern wie ein Bauarbeiter… insofern Bauarbeiter das überhaupt haben.
Beautyblogger kann ich mit den Händen jedenfalls nicht mehr werden.

Gott sei Dank habe ich mein kleines Fläschchen Sterilium für die Kitteltasche und benutze eben das, wenn in dem Patientenzimmer mal wieder nur die zwei Desinfektionsmittel hängen, die meine Hände wegätzen. Denn Desinfektionsmittel einfach zu meiden kommt nicht infrage - es wäre eine Gefährdung für die Patienten und mich.
Herauszufinden, dass ich anscheinend einige Desinfektionsmittel nicht vertrage, machte mir irgendwie Angst. Gerade erst angefangen und schon die ersten Unverträglichkeiten? Wie soll ich denn mit dem Vorschaden mir bis zur Rente täglich Desinfektionsmittel auf die Pfoten schmieren?!
Immerhin gibt es Mittel, die ich benutzen kann. Also ganz ruhig.

Und wie das Leben so ist kam gleich das nächste Ereignis, dass verunsicherte.
Ich unterstütze zum ersten Mal einen der Stationsärzte bei einer Lumbalpunktion, hielt den Patienten, reichte ihm die Utensilien. Ein normaler Tag, ich fühlte mich gut.
Die lange Punktionsnadel wurde in den Rücken gestochen; ich konnte mir gut vorstellen, wie sie sich zwischen die Wirbel schob. Kein Blut zu sehen.
Mir wurde heiß und dann einfach nur kalt. Kalter Schweiß, Schwindel Gefühl. Ich hielt mich eher am Patienten fest als ihn zu halten. Das Gefühl, das Frühstück gleich wieder begrüßen zu können, schwarz vor Augen.

Statt etwas zu sagen blieb ich einfach stehen. Ja ja, immer schön sagen, wenn einem schlecht wird statt still und heimlich umzukippen. 
Es war eine Schwäche, die ich mir nicht eingestehen wollte. In der Pathologie Lebern wiegen und Bauchwasser mit der Kelle ausschöpfen aber wegen einer Nadel im Rücken umkippen? Ich verstand nicht, was mich so aus der Bahn warf.
Die Zeit verging unendlich langsam; der Arzt wartete bis seine 30ml Liquor in das Röhrchen getropft waren. Pflaster, aufräumen, Verbandswagen aus dem Zimmer schaffen. Wasser trinken, setzen. Es ging mir körperlich schnell besser aber die Sorge, dass ich das Studium wechseln muss, weil ich doch nicht mit Eingriffen am Menschen zurecht kommt, blieb.
Nach drei weiteren Lumbalpunktionen, bei denen ich half und einer OP am Gehirn, die ich mir gestern ansehen durfte, kann ich sagen, dass es ein Kreislaufproblem gewesen sein muss. Unglaubliche Erleichterung. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie froh ich bin, dass es nur ein Kreislaufproblem gewesen sein muss. Das Gefühl, nicht den Beruf ergreifen zu können, für den man sich entscheiden will, ist absolut mies und nagt an der Substanz. Man hätte die Zeit verschwendet, die man mit der Ausbildung bisher verbracht hat. Man hätte es doch früher wissen können - bevor man gegen die Wand läuft und feststellt, dass alles vergebens war.

Ich hatte Glück und die Sorgen waren unbegründet. Bin ich vielleicht glücklich, anscheinend keine komplett falsche Entscheidung getroffen zu haben. Angst vor dem Versagen, vor dem Scheitern trifft tief.
Ob ich mit diesen Entscheidungen glücklich werde, ist eine Frage, die sich nicht sofort beantworten lässt. Man kann im Leben so viel falsch machen ohne es zu direkt zu bemerken und gleichzeitig so viel richtig machen und das erst nach Jahren erkennen.

An eigenen Entscheidungen zu zweifeln ist erlaubt. Zweifel gehören zum Leben. Aber man muss es damit nicht übertreiben. Nicht jeder Kratzer ist tödlich und von einem schlechten Tag bricht die Welt nicht zusammen. Frei nach dem Motto: nicht nur zweifeln, sondern leben.

Apfelkern