Samstag, 15. Dezember 2012

Und wo ist jetzt die Kamera?!


Kennt ihr Momente, in denen ihr einfach nicht glauben könnt, dass sie gerade wirklich passieren? Auf dem Heimweg heute erlebte ich genau so einen.

Die Berliner S-Bahn im Winter ist sowieso ein Erlebnis für sich. Wer braucht schon noch Abenteuerurlaub mit teurem Nervenkitzel, wenn man sich nachdem die erste Schneeflocke gefallen ist jeden Tag überraschen lassen kann, wann man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ans Ziel kommt oder ob man vergeblich auf die Bahn warten wird?
Manchmal aber gibt es noch zusätzlich merkwürdige Situationen dazu.

In den Wagon, in dem sich die Menschen eng aneinander drängten und bei jeder Station auf dem vom Schneematsch nass-dreckigen Boden bei jedem Bremsen einen halben Meter weit rutschten, stieg an einer Station ein Pärchen ein. Ich bemerkte zuerst den Rauchgeruch und stellte entsetzt fest, dass der Mann noch eine Zigarette im Mund hatte. Das konnte ja wohl nicht sein Ernst sein.
Danach fiel mir sowohl in seiner als auch in der Hand seiner Begleiterin die Bierflasche auf. Beide liefen mit deutlichem Seegang. Sie hatten also nicht nur in der Hand Bier sondern auch noch eine gewisse Menge davon intus. Okay. Erst einmal wieder die entgleisten Züge richten.

Zielsicher setzte er sich nahe der Tür auf den Boden, ihr Boxer trottete hinterher und ließ sich zu seinen Füßen nieder und begann auf den eh schon feuchten Boden zu sabbern.
Die Frau drängelte sich rücksichtslos durch die Menschenmenge und wies jeden, der nicht sofort Platz machte an, sie müsse zu ihrem Mann. Aber zack.
Dabei hatte sie aber nicht viel zu tun, denn um die zwei Gestalten und den Hund war von ganz allein auf wundersame Weise Platz frei geworden.

Ich selbst war auch unbewusst ein Stück abgerückt; allein schon aus Vorsicht. Die beiden wirkten reizbar. Sie waren zwar mit sich selbst beschäftigt aber wie lange das wohl so blieb war ungewiss…

Sie zupfte an ihrem Lippenpiercing, nahm einen Schluck Bier und verkündete, dass sie wohl Morgen vom Bier kotzen werde aber wenn sie danach noch kotzt, wäre sie von ihm schwanger und treibt garantiert ab, darauf könne er sich verlassen.
Es entspann sich eine Diskussion, die darum kreiste, mit welchen Männern sie sich sonst noch herum trieb. Das Wort Hure fiel.
Sie wurde immer zorniger, brüllte, dass sie sich allein für ihn zu Hure mache.

Und alle Passagiere standen da und taten so, als bekämen sie nichts davon mit (ich bin gar nicht da, ich bin gar nicht da…), versuchten aber gleichzeitig trotz des abgewandten Blickes so viel wie möglich mitzubekommen.
Auch ich verhielt mich nicht anders. Sie zurecht zu weisen würde gar nichts bringen; es bestünde nur die Chance, die zwei eh schon aufgewühlten und sich anbrüllenden Alkoholisierten zu reizen und das war definitiv nicht das, was ich vorhatte. Also ruhig verhalten und beobachten.

In dieser Situation kam mir immer wieder ein Gedanke: das kann doch jetzt nicht echt sein! Ich war ernsthaft geneigt, mich nach dem verkleideten Kamerateam oder zumindest irgendwas derartigem umzusehen, das erklären würde, warum die zwei sich so verhalten. In meiner naiven Vorstellung gibt es doch so etwas nur in irgendwelchen gestellten Nachmittagssendungen der Privatsender.
Es kam niemand. Mir war im Inneren von Anfang an bewusst, dass niemand kommen und rufen würde "haha- reingefallen!". Trotzdem war die Situation zu befremdlich, um sie als real zu akzeptieren.

In diesem Moment, überlegte ich, welche Haltung ich eigentlich zu den zweien einnehme. Mitleid, Abscheu, ein gewisses Bedürfnis nach Distanz, Fremdscham, Ungläubigkeit - all das prägte meine Gedanken in diesem Moment.
Absolut niemals hätte ich gedacht, selbst live im Alltag ohne an irgendwelche "zwielichtigen" Orte zu gehen, solche Menschen zu treffen. Es gehört eindeutig zu dem, was die meisten aus ihrem Bewusstsein verdrängen. Manchmal nur drängt es sich selbst zurück in den Fokus der Gedanken. Tja, diese Dinge, die einem das Nachmittagsfernsehen zeigt, sind wohl leider doch manchmal wahr.

Apfelkern

2 Kommentare:

  1. Ich bin ziemlich froh, dass ich aufgrund der Größe meiner Wohngegend ähnliche Situationen so gut wie nie erlebe. Ich finde, dass diese Situationen immer (leider) gut aufzeigen, wie hilflos wir Menschen uns verhalten, wenn wir mit einem Verhalten kontaktiert werden, dass sich nicht in das übliche Sozialverhaltensspektrum einreihen lässt. Benehmen sich Personen völlig anders, als sie es eigentlich tun dürften, sind wir meist völlig überfordert.
    Ich vermute fast, dass es die bestmöglichste Reaktion auf so ein Verhalten ist, einfach nur zu beobachten. Denn man kann leider nicht vorhersagen, wie so etwas weitergeht.

    Viele Grüße,
    Pearl.

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  2. Man kann gar nichts anderes machen, denn man weiß nie, wie solche Menschen dann plötzlich reagieren. Aber es ist deren Leben und sie sollen damit machen, was sie wollen. Ich würde sowas schlichtweg ignorieren. Menschen lassen sich nicht verbessern. :/

    Wünsche Dir frohe Weihnachten!

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