Samstag, 8. September 2012

Der Arsch vom Dienst

Heute war der letzte Tag meines vierwöchigen Pflegepraktikums auf einer Krankenhausstation. Anfangs mitten ins Geschehen geworfen und vor allem am ersten Tag völlig ahnungslos, was ich denn eigentlich machen könnte und vor allem dürfte, fühlte ich mich nach einem Monat dort sehr heimisch. Endlich wusste ich, wo Abführmittel und Einwegspritzen liegen. Ganz normal, dass man ein wenig Zeit braucht, sich einzuleben.

Interessant war neben der Tätigkeit selbst für mich auch, wie die einzelnen Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte mit mir in meiner Position als Praktikant umgingen.
Ja was macht man denn mit so einem, der nicht in dem entsprechenden Tätigkeitsbereich ausgebildet ist?

Diese Frage müssen sich alle der Pfleger der Station gestellt haben, doch die Antworten, die sie darauf für sich selbst gefunden haben sind definitiv verschiedene.
Wenige nahmen die zusätzliche Arbeitskraft als freie Hand zum Umhertragen von Objekten von Punkt A nach B, für Botengänge, die bloße Laufarbeit sind, zum Nachfüllen und Sortieren: kurz allen stupiden Arbeiten, die maximal einen winzigen Funken Denkarbeit erfordern. 
Und natürlich ließen sie mich nicht nur Dinge durch die Gegend tragen: Gern durfte man auch Patienten beim Toilettengang helfen.

Eine andere Gruppe des Personals ließ mich zwar auch all diese Dinge erledigen, da sie meinten, das gehöre dazu - womit sie meiner Meinung nach auch eindeutig Recht haben, denn wer kochen will muss auch abwaschen können- doch sie bemühten sich, mich auch in andere Tätigkeiten zu integrieren. Ich lernte mit Stethoskop und mechanischem Gerät den Blutdruck zu messen, maß den Puls, durfte in die Dokumente so gewonnene Werte eintragen, Patienten waschen, Krankentransporte bestellen, bekam diverse Beipackzettel zu lesen, durfte Verbandswechsel von PEGs und eine Pleurapunktion beobachteten. Kurz: sie gaben sich Mühe, mir grundlegende Arbeiten sowie anspruchsvollere Aufgaben zu erteilen oder mich zumindest teilhaben zu lassen. 

Man merkte, dass einige ihre Tätigkeiten routiniert und fast wie schlafwandelnd erledigten und das war es dann; andere waren aufmerksamer, kommunizierten über die Frage, ob man denn heute schon Stuhlgang gehabt hätte und wie es aktuell mit den Schmerzen aussieht, hinaus mit den Patienten statt einfach stumpf seine Akte abzuarbeiten. Das bemerkten auch die Patienten, ob sie bloß als Punkt auf der ToDo-Liste angesehen wurden oder als Mensch. Es war offensichtlich, wie sehr sie sich über kleine Freundlichkeiten freuten und dass das auch dazu beitrug, dass sie sich besser fühlten. Natürlich: ich weiß zu gut, dass der gleiche Satz in einem freundlichen Tonfall gesagt ganz anders wirkt als mit mürrischer Stimme.

Als Praktikant hatte ich generell mehr Zeit als das feste Stationspersonal, da ich an diversen Aufgaben wie der Aktendokumentation und der Ausarbeitung von Pflege- und Medikamentenplänen gar nicht teil nehmen beziehungsweise helfen konnte und diese Zeit nutze ich, um den Patienten eine kleine Freude zu bereiten. Na gut: den Patienten, die mir nicht komplett unsympathisch waren. 
Ich ließ mir geduldig die jeweilige Biographie erzählen, cremte Beine, ließ sie beim Duschen besonders lange unter dem angenehm warmen Wasser, sodass die Muskulatur sich ein wenig entspannen konnte, spitze auf Wunsch Kajalstifte, besorgte einen Extrapudding und wärmte Essen noch einmal auf.
Einfach freundlich und aufmerksam sein. Zuletzt gab es Patienten, die sich nur noch von mir duschen oder mit Inkontinenzmaterialien versorgen lassen wollte, weil ich das so schön machen würde.

Eben jene wenig sich um das Menschliche des Patienten kümmernden Pfleger waren erstaunt, dass sich sonst weinerliche oder verweigernde Personen von mir klaglos helfen ließen.
Als kleiner unwichtiger Praktikant zu sagen, sie sollten es einmal mit etwas mehr Freundlichkeit versuchen, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. In meinen Augen war ich dafür nicht in der richtgen Position. Wer bin ich denn, jemanden, der zwanzig Jahre diesen Beruf ausübt, belehren zu wollen? Also ließ ich es.

Wahrscheinlich hätten sie mich auch gar nicht ernst genommen. Berichtete ich, dass der Patient sich übergeben hätte, heißt es nur, derjenige hustet bloß wieder viel Schleim aus. Erzählt eine ausgebildete Schwester wenig später exakt das, dann wird überlegt, den Medikamentenplan zu verändern oder direkt zu behandeln.
Na danke. Ich bin vielleicht Praktikant aber völlig bescheuert bin ich trotzdem nicht.

Zum Glück zählte nur eine Minderheit des Pflegepersonals zur beschriebenen Gruppe und so waren es vier anstrengende aber auch gute Wochen. Es ist ein tolles Gefühl, anderen helfen zu können; ein noch besseres Gefühl, mit der Zeit zu lernen, wie man ihnen noch besser helfen kann und so in einigen Fällen nicht mehr nur hilflos daneben stehen und bloß beruhigend den Rücken oder Arm streicheln kann.
Abgesehen von neuem Wissen habe ich auch das Gefühl, anderen gegenüber rücksichtsvoller, geduldiger und aufmerksamer geworden zu sein; ich kann deutlich besser andere beruhigen und wortlos kommunizieren. Allein dafür hat es sich meiner Meinung nach auch schon gelohnt.

Wahrscheinlich ist es Glückssache, ob man n einem Praktikumsort nur zum Kaffeekochen eingesetzt wird oder Verantwortung übertragen bekommt; Leute, die glauben, einen aufgrund ihrer höheren Position in der Hierarchie nicht für voll nehmen zu müssen und umherscheuchen zu können, wird es immer geben. 

Apfelkern

1 Kommentar:

  1. Ich habe vor ziemlich genau 9 Jahren (ach du je) zwischen Abi und Studium 3 Monate Pflegepraktikum gemacht und mich durch deinen Text total an diese Zeit erinnert gefühlt. Vielen Dank dafür. Ich habe in dieser Zeit sehr viel für mein Leben mitgenommen und auch wenn ich jetzt so gar nichts in dieser Richtung arbeite, hab ich das Pflegepraktikum keinen Moment als Zeitverschwendung angesehen. Viele der Erfahrungen, die du beschreibst, kann ich komplett so unterschreiben. Ich durfte von Tag zu Tag immer mehr und auch komplexere Aufgaben übernehmen und ich habe immer wieder gemerkt, dass man mit Freundlichkeit so viel weiter kommt. Ich glaub aber auch, dass es sehr schwer ist, sich diese ungezwungene Freundlichkeit zu bewahren, mit Erfahrungen die man im Beruf macht, mit wachsender Verantwortung und mit dem Zeitdruck, der mittlerweile überall herrscht. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich mich gegen einen Beruf in diesem Bereich entschieden habe.

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