Donnerstag, 8. Dezember 2011

Der Zettel

Zum Alltag eines Schülers gehören Leistungskontrollen. Und zwar in rauen Mengen. Um diese in ihrer scheinbar unendlichen Menge zu bewältigen und wenn möglich das auch noch erfolgreich, muss man viel Zeit zum Lernen aufwenden. Oder man spickt. Fix aus dem Hefter abgeschrieben, zusammengefaltet in die Federtasche gesteckt und während der Kontrolle bei Bedarf rausgeholt und als Antwort eingefügt.

Oder man ist gleich so dreist, seinen Hefter ganz zufällig in Sichtweite und noch zufälliger auch noch offen zu positionieren.

Ich spicke nicht. Denn es verhindert einen Schreibfluss und um ganz ehrlich zu sein würde ich wohl schon vor lauter Panik, ertappt zu werden, beim Gedanken an den kleinen Zettel in meiner Tasche schweigebadet und zitternd vom Stuhl kippen. Ja, Apfelkern ist in Sachen Spicken ein ziemlicher Feigling.

Allerdings kann ich nicht behaupten, nie gespickt zu haben. Denn es gibt ja immernoch das Fach Musik. Theorie zu den Epochen ließ sich leicht in den Kopp kloppen, doch meine Problemzone waren von Beginn an die Noten. Wer bitte soll sich denn die ganzen ollen Tonleitern merken? Und die Pausenzeichen? Oder gar wie man irgendwelche Tonleitern entwickelt?
Völlig utopische Anforderungen.

Und so schrieb ich vor Musiktests immer mit einem Bleistift ganz zart die Pausenzeichen und ein paar Tonleitern auf den Tisch. Also wenn so ein Zeug wie C-Dur und D-Dur überhaupt Tonleitern heißen.
So konnte ich während des Tests die Tonleitern einfach abzeichnen statt sie entwickeln zu müssen. Anschließend reichte ein Wisch über die hauchdünne Bleistiftschrift um sie in einen grauen Schleier auf dem Tisch zu verwandeln.

Klingt ja nach einem funktionierenden System, doch vor lauter Aufregung, dass ich so böse war, verwischte ich schon bei einem aufkommenden Gefühl, beobachtet zu werden die Schrift. Leider kam das Gefühl siedendheiß alle drei Sekunden. Und so stand ich dann doch hilflos vor irgendwelchen Halbtonschritten.

War ich vielleicht froh, Musik nach der zehnten Klasse abwählen zu können.

In anderen Fächern jedoch habe ich in meiner kompletten schulischen Karriere noch nicht zu unerlaubten Gedächtnisstützen gegriffen und so mag ich es auch nicht, wenn andere das machen. Denn ich habe mich hingesetzt und mich mit der Thematik auseinandergesetzt und so finde ich es natürlich nicht in Ordnung, wenn andere sich das ersparen und spicken.

Und so erreichte mein Gemüt auch heute die kritische Phase kurz vor der Weißglut als ich eine Mitschülerin dabei beobachten konnte, wie sie ihr Tafelwerk mit Theorie aus ihrem Hefter füllte. Dünn, mit Bleistift.
Mir war klar, was sie tat, da wir im gleichen Mathekurs sitzen und so auch ich den Test zu schreiben hatte. Es ärgerte mich so sehr, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, sie zu verraten. Notfalls anonym.
Denn ganz zufällig ist sie nicht mein Sympathieträger Nummer eins.

Ich habe Erfahrung mit dem geächteten Petzen. In der sechsten Klasse verriet ich meine Banknachbarin, da sie Englischvokabeln während des Tests direkt aus ihrem Vokabelheft abgeschrieben hatte. Das kommt davon, wenn man meine Federtasche immer runter wirft!

Inzwischen verstehe ich mich sehr gut mit dieser Person und delektiere mich immer wieder an unseren Gesprächen. Sie hat mir übrigens vergeben, dass ich ihr damals eine Sechs eingebrockt habe. Glück gehabt.

Zurück in die Gegenwart. Ich wusste nun, dass es mir kurzzeitig Genugtuung bringt, die Spicker zu verraten, doch langfristig war es eher peinlich. Und so schwieg ich darüber, dass die Seiten 62 und 63 ihres Tafelwerks vollgeschrieben mit unerlaubtem Hilfswissen sind. Und trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass sie entdeckt wird. Bin ich nun ein abartiger Streber?

Als ich erfuhr, dass einem Mädchen; zufällig auch nicht mein Sympathieträger Nummer eins (und: JA, es gibt auch Menschen, die ich mag.); während der Vorprüfungsklausur beim Spicken erwischt und ihre Arbeit so mit Null Punkten bewertet wurde, schwankte ich zwischen Schadenfreude (die Gerechtigkeit hat gesiegt!) und Mitleid (es war eine Klausur!). Da wünsche ich es eher den spickenden Schülern während kleinerer Tests entdeckt zu werden. Denn man muss ja auch mal einen Lerneffekt erleben, dass man nicht immer den leichtesten Weg wählen kann.
Ich hatte heute auch einen Lerneffekt: Aufgabenstellungen sind dazu da, gelesen zu werden. Aha.

So, nun werde ich mich ganz ordnungsgemäß auf einen Chemietest vorbereiten, nachdem ich mich ein wenig ausgemotzt habe.

Apfelkern

4 Kommentare:

  1. Ich kann das sooo verstehen. Auch dieser Zwiespalt. Sehr gut beschrieben. ;)
    Bei meiner ersten Uni-Klausur hat eine neue Freundin von mir auch einfach Spickzettel unter die 4 Seiten-Klausur gemischt..-.- Es freut mich ja, wenn sie gut abschneidet, aber naja, ne? Ich habe gelernt und geschwitzt...sie hat abgeschrieben. :D Naja, ich denke, man gönnt es ihnen erwischt zu werden, aber hofft ja, dass jemand anderes petzt irgendwie. ;)
    Viel Erfolg bei deinem Chemietest. :)

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  2. Das kenn ich! Ich trau mich auch nie zu spicken, viel zu viel Angst erwischt zu werden, höchstens mal kurz abgucken ;)
    Bei mir im Englisch LK hat das Spicken ganz neue Größen erreicht: zwei Handys mitnehmen, eins beim Lehrer abgeben & das andere dann zum Spicken nehmen. Dann hab ich auch überlegt, denjenigen zu verpetzen. Naja ich habs aber dann nicht gemacht...

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  3. Hm, wie mir das bekannt vorkommt. Wobei ich sagen muss, was mich zum Thema Schummeln wirklich, wirklich auf die Palme bringt sind Leute, die im Hörsaal vor oder neben dir sitzen und mega auffällig verlangen, dass man ihnen hilft, wenn sie nicht weiterkommen. Wieso fühlt man sich selbst dann wie ein A* wenn man sie ignoriert, wobei die doch eigentlich... Nunja. Ich wurde im Studium schon mindestens dreimal angeraunzt, von wegen das werde gleich als Täuschungsversuch geahndet - obwohl ich bei keinem der drei Male selber den Kontakt aufgenommen hatte.

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  4. Es gibt Leute, die du machst? Absurd sowas.

    ICH HASSE SPICKER UAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH. Ich entwickle ich immer mehr zu einem Schulhasser. Zum Glück muss ich mich nicht mehr mit Scheißmenschen abgeben.

    Ich HASSE es, wie fast alle spicken. Ich HASSE es, wie sie das als selbstverständlich ansehen. Ich HASSE ES NOCH MEHR, wenn Leute dann sagen "TUT DOCH JEDER!". Verdammt, NEIN, es tut nicht jeder! Am Anfang meiner Gymnasiumzeit hab ich auch gespickt (ich gebe es zu!), allerdings nur, um eine 4 zu schreiben, anstatt einer 5 (beispielsweise).

    Ich habe nie so weit und viel gespickt, dass ich aus einer Arbeit, die mit einer 5 benotet werden würde, (weil man zu dumm ist/ nicht gelernt hat) und dann durch das Spicken eine 1 oder 2 bekommt.
    WIE ES MICH AUFREGT.
    Über das Thema wollt ich auch schon bloggen (uns beschäftigen schon recht viele ähnliche Themen, aber es macht mich unglaublich wütend - man liest es auch an meiner "Tonlage"- wenn Leute anderer Meinung sind, diesbezüglich. Da kann ich wirklich keine andere Meinung tolerieren..)

    Nochmals: Ich bin so verdammt froh diesem Betrugssystem erstmal für ein Jahr ausgewichen sein zu können. Dass es im Studium genauso sein wird, befürchte ich.
    Das ganze ist einfach verdammt ungerecht. Und Ungerechtigkeit ist etwas, das mich richtig wütend macht.


    Außerdem sprechen alle immer von Wahrheit und Ehrlichkeit (darüber wollt ich auch noch bloggen..), ja, und wo ist die geblieben?

    Auch ein beliebtes Argument: "Aber es geht um meine Zukunft, die ist mir halt wichtig!" (..außerdem spickt ja jeder)

    So, jetzt hab ich wieder meinen Menschenhass-Ausbruch gehabt. Fertig.

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