Samstag, 22. Oktober 2011

Wir sind aktiv passiv

Anders als bei Blogs habe ich im Radio schon oft mit klaren Erfolgen an Gewinnspielen teilgenommen. Unter anderem habe ich Karten für eine Vorstellung im Zeiss Großplanetarium Berlin gewonnen.
Dort war ich dann auch am Freitag mit einer Freundin.
Auf dem Rückweg gegen elf Uhr liefen wir zum Bahnhof als plötzlich ein Frauenschrei zu hören war. Ich war alarmiert und sah mich um. Mehrere Schreie folgten aber sie klangen nicht wie Angstschreie und so nahm ich an, dass es wieder einmal Betrunkene waren, die laut herumalberten. Peinlich...

Eine Gestalt rannte an uns vorbei. Verwirrt sahen wir ihr hinterher. Eine weitere Gestalt folgte.
Schließlich kam letztere mit verzweifeltem Gesichtsausdruck zu ihrer Begleiterin zurück.
Der Frau, die geschrien hatte, war die Handtasche gestohlen worden.

Da wir kurz zuvor festgestellt hatten, dass auf unserer Strecke der Zugverkehr aus irgendwelchen bahntypischen Gründen (wahrscheinlich eine Baustelle, ab November ist dann wieder das Wetter schuld) eingestellt war, plagten uns andere Sorgen als das Schicksal der Frau und so gingen wir. Als wir schließlich an der Straßenbahnhaltestelle warteten, musste ich wieder an den Vorfall denken.
Hatte sie uns etwas zugerufen? Hatte sie gewollt, dass wir den Dieb aufhalten? War unsere Passivität schuld daran, dass ihre Tasche samt Inhalt nun verloren ist?

Ich fühlte mich schuldig. Denn selbst wenn ich die Situation rechtzeitig durchschaut hätte - hätte ich mich wirklich getraut, einzugreifen? Immerhin könnte der Dieb bewaffnet gewesen sein...

Es klingt in meinen eigenen Ohren wie eine fadenscheinige Entschuldigung. So viel zum Thema Zivilcourage. Letztendlich denken wir meist nur an unser eigenes Wohlergehen und genau das nagt jetzt an mir. Aber wahrscheinlich nagt es nur an mir, damit ich mir selbst bestätigen kann, dass ich meine Passivität bereut habe und so mich selbst von Schuld freisprechen kann.


Ich könnte mir nun sagen, dass die Situation eh Vergangenheit ist und daher das Thema ruhen lassen, doch wie werde ich zukünftig in solchen Momenten reagieren? Beschlossen habe ich, beim nächsten Mal einzugreifen, insofern eine realistische Chance gegeben ist. Das klingt wie das perfekte Schlupfloch - ich hatte doch gar keine Chance!

Im umgekehrten Fall würde ich mir auch wünschen, dass mir jemand zur Hilfe eilt. Aber das wird wahrscheinlich ein Wunsch bleiben, da wir ganz bemüht sind, unsere Augen vor solchen Dingen zu verschließen.

6 Kommentare:

  1. Es ist nur natürlich, dass man nicht von null auf hundert Supermankräfte entwickelt und lieber erstmal an seine eigene Sicherheit denkt, insofern hast du dir nichts vorzuwerfen. Im Nachhinein ist man immer klüger und wenn du das nächste Mal in so eine Situation gerätst (was ich nicht hoffe, da man nicht gerne im Zentrum krimineller Machenschaften steht), wirst du eher wissen, wie du zu reagieren hast, schon allein um nicht wieder solche Gewissensbisse zu riskieren, an denen du gerade zu leiden scheinst.
    Nimm dir das nicht so zu Herzen, es war schließlich nur eine Handtasche.

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  2. Das mit der Zivilcourage ist immer so eine Sache. Ich selber bin schon öfter nachts von irgendwelchen Typen belästigt worden und war immer sehr froh, dass mir geholfen wurde. Doch die Menschen, die mir geholfen haben waren doch immer männlich und über 1,80 m. Ausreden wie: "Ich hatte doch keine Chance!" mögen scheinheilig wirken, aber man muss wirklich realistisch bleiben, sonst richtet man mehr Schaden an, als dass man hilft. Außerdem kenne ich genug Leute, die sich eingesetzt haben und damit auch geholfen haben, aber dann vom Staat angeklagt wurden! (obwohl ich in dem Fall schon fast der Meinung bin, dass es das wert war) Einerseits wird man zur Zivilcourage ermahnt und dann bekommt man vom Staat selber eins drauf. Das ist genau das, was mich gerade in Deutschland so aufregt!

    Ich selber hätte wahrscheinlich auch nicht eingegriffen, da ich für eine Handtasche nicht das Risiko eingegangen wäre, dass man mir ein Messer in den Bauch rammt etc.
    Wenn ich sehe, dass Leute direkt in Gefahr sind sieht die Sache schon wieder ein bisschen anders aus.
    Aber ich bin allgemein der Mensch, der eher zum Handy greift, als seine eigenen (nicht vorhandenen) Kräfte einzusetzen.

    So oder so ist man in solchen Momenten eh meist etwas geschockt, so dass Handeln und Denken schwer fällt. (Bei mir ist das jedenfalls so)
    Deshalb habe ich auch riesen Respekt vor Menschen, die bei sowas wirklich schnell reagieren können.

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  3. Ich kann oberer Kommentarschreiberin nur zustimmen. Wenn ich nachts dumm angemacht werde, helfen mir ausschließlich Kerle, die groß und stark sind. Klingt doof, ist aber so. Ich glaube wirklich, dass es solche Menschen in solchen Situationen leichter haben.
    Wo aber zweifelslos jeder aktiv werden kann, sind jene Situationen, in denen alte Omis schwere Einkaufstaschen tragen oder blinde Menschen orientierungslos durch die Gegend laufen. Denke ich.

    Die Toten Hosen.. Ja, hör die die mal an. Besonders live einfach ein Knüller. Vorallem das Unplugged von Mtv. Mann, das könnte ich auch mal wieder hören :D

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  4. mit der Zivilcourage ist das so ´ne Sache. Als ich noch in Frankfurt/M. gewohnt habe, wollte mir meine Freundin dringend einen Sheriff-Stern verpassen, mit dem ich den die U-Bahn sicher machen sollte. Ich habe nämlich "immer" was gesagt, wenn mir was komisch vorkam. Mein Bruder (arbeitete damals beim Sicherheitsdienst) hat mich immer gewarnt: "irgendwann polieren Sie Dir das Gesicht!"
    ...zum Glück ist nöscht passiert und wir sind weggezogen. In einer Kleinstadt kann es aber auch turbulent sein....ich packe den Sheriff-Stern bald wieder aus ;)

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  5. Seltsamerweise bin ich bereits öfter in ähnliche Situationen geraten und kann mittlerweile mit großer Sicherheit behaupten, dass in solchen Situationen mein Kopf irgendwie abschaltet und ich einfach eingreife, egal, ob ich mich selbst dabei in Gefahr oder eine "unbequeme" Lage bringe...Vielleicht wird mir das eines Tages das Genick brechen, aber ich bin nun einmal einfach so...

    Liebe Grüße...

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  6. Ich denke du hast keinen Grund dich schuldig zu fühlen. So etwas in Sekundenbruchteilen wahrzunehmen, zu verarbeiten, zu urteilen "Überfall", "kein Überfall" ist mehr als schwer und muss von Polizisten und anderen Helfern trainiert und geschult werden. Keiner macht jemandem wie dir Vorwürfe oder schreibt dir vor dich schuldig zu fühlen, da ausgerechnet du nicht eingegriffen hast. Wobei immer die Frage im Raum steht "Hättest du überhaupt etwas ausrichten können?".

    Der einzige der sich hier schuldig fühlen muss ist der Dieb, der das garantiert schon oft getan hat und hoffentlich beim nächsten mal von einem zwei Meter großen Schrank eins auf die Rübe kriegt. ^^

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